2. Oktober 1818: Das Patent für die Nähmaschine wird widerrufen
Die nähende Hand
Jahrhundertelang waren Textilien, waren Stoffe und Kleidung eine echte Anschaffung gewesen, die man schonte, flickte, wendete, umarbeitete, wiederverwertete. Das änderte sich an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, denn durch die Erfindung mechanischer Spinnereien und Maschinenwebstühle konnten die Stoffe billiger angeboten werden als zu Zeiten der Manufakturen.
Aber es hakte an einem Punkt: Noch immer blieb die Schneiderei eine Domäne der Handarbeit. Eine fleißige Handnäherin bringt es auf etwa 50 Stiche pro Minute, da dauert es selbst bei pausenloser Arbeit Stunden, bis ein Kleidungsstück fertig ist. Es lag somit eine weitere Erfindung in der Luft, die nun auch das Nähen mechanisieren und beschleunigen sollte: die Nähmaschine.
Das erste Patent auf eine solche Maschine stammt von dem englischen Schreiner Thomas Saint. Es wurde 1790 für eine Apparatur erteilt, die mit einer Ahle ein Loch in Leder machte und dann eine Nadel durchschob. Saint ließ aber höchstwahrscheinlich nur die Idee patentieren; die zugehörige Maschine ist wohl nie gebaut worden, und sie würde nach den patentierten Zeichnungen auch nicht funktionieren.
Um 1807 dann konstruierte der Wiener Schneidermeister Josef Madersperger eine Maschine, die die Bewegung der »nähenden Hand« nachahmen soll. Seine gesamten Ersparnisse steckt er in die Entwicklung, aber so recht zufriedenstellend arbeitet die Maschine nicht. Nach einigen Jahren erkennt Madersperger, dass sich die nähende menschliche Hand kaum als Vorbild für eine Nähmaschine eignet. Er entwirft nun eine Nähmaschine, die nach einem ganz neuartigen Prinzip arbeitet: Sie verwendet zwei Nadeln und somit auch zwei Fäden; außerdem hatten die Nadeln das Öhr an der Spitze. 1815 wird Madersperger ein österreichisches »Privilegium«, sprich Patent, auf seine Maschine erteilt.
Nun könnte die Erfolgsgeschichte der Nähmaschine beginnen, doch Madersperger hat mit der Konstruktion der Maschine seine Mittel verbraucht und findet keinen Partner, mit dem er eine industrielle Produktion beginnen könnte. Zwar kann er sein Patent im Jahr 1817 noch auf das Nähen krummliniger Nähte erweitern, aber das nützt ihm nichts. Er kann die Gebühren für das Patent nicht bezahlen, und als drei Jahre nach der Erstanmeldung das Patent immer noch nicht verwertet ist, entzieht ihm die Niederösterreichische Landesregierung am 2. Oktober 1818 sein Privilegium.
Zwar lässt sich Madersperger nicht entmutigen und arbeitet, später sogar von der Regierung unterstützt, weiter an der Vervollkommnung der Maschine. Aber trotz aller Bemühungen gelingt es nicht, die Maschine voll funktionsfähig und zuverlässig zu machen. Schließlich gibt Madersperger auf, mittlerweile ist er auch schon über siebzig Jahre alt. Er schenkt sein Nähmaschinenmodell 1839 dem kaiserlich-königlichen Polytechnischen Institut in Wien. Zwei Jahre später erhält er in Anerkennung seiner Pionierleistung eine Medaille des Niederösterreichischen Gewerbevereins.
Wahrscheinlich war Madersperger seiner Zeit einfach ein paar Jahre voraus gewesen. Erst kurz vor seinem Tod erhält auch ein amerikanischer Erfinder ein Patent auf eine funktionsfähige Nähmaschine, und ihm gelingt es sogar, das Gerät industriell produzieren zu lassen. Bis zu 300 Stiche pro Minute kann man damit nähen, sechsmal soviel wie von Hand. Noch heute werden Nähmaschinen unter dem Namen des amerikanischen Erfinders produziert: Isaac Singer.
Dass sich die Nähmaschinenindustrie dann rasch weltweit ausgebreitet hat – dazu gehörten ab den 1860er Jahren auch deutsche Firmen wie Pfaff, Kayser oder Opel –, dass einige dieser Firmen später auch Fahrräder produzierten und die Gebrüder Opel sogar Autos: Das alles hat Josef Madersperger, der Schneidermeister aus Wien, nicht mehr erlebt. Er starb am 2. Oktober 1850, zufällig auf den Tag genau 32 Jahre nach der Aberkennung seines Patents, völlig mittellos in einem Wiener Armenhaus.
Carsten Heinisch
geschrieben für »Zeitwort« (SWR2) 2006, ergänzt 2016
Porträtbild gemeinfrei, Quelle: Wikimedia;
Foto der»Nähhand« von dem Nutzer Reinraum, veröffentlicht in Wikimedia Commons