10. Februar 1832: Der Brückenbauverein Budapest plant eine feste Donau-Überquerung

Die Brücke des Reformers

Vor zwei Jahrhunderten war Ungarn ein Agrarstaat, arm und politisch rückständig. In Wien hatte man wenig Interesse, die Zustände in der ungarischen Reichshälfte zu ändern, doch unter den Magyaren gab es einige kluge Köpfe, die Reformen wollten, allen voran István Graf Széchenyi. Er kritisierte das Feudalsystem, die Adelsprivilegien, die österreichische Zollpolitik und vor allem die mangelhaften Verkehrswege. So gab es ab Regensburg keine einzige feste Verbindung über die Donau, stattdessen nur Fähren und einige Schiffsbrücken, die aber im Winter bei Eisgang abgebaut werden mussten.

Kettenbrücke in Budapest

Die Kettenbrücke in Budapest (auf ungarisch heißt sie zu Ehren ihres Begründers »Széchenyi lánchíd«) bei Nacht, von der Budaer Seite aus gesehen. Im Hintergrund der Stefansdom.

Um 1830 entwarf Széchenyi ein Verkehrskonzept, mit dem er die Modernisierung des Landes vorantreiben, die Verwaltungshauptstadt Pest mit der alten ungarischen Hauptstadt Buda vereinigen und zum Knotenpunkt eines sternförmigen Verkehrs­netzes aus Wasserwegen, Straßen und sogar Eisenbahnverbindungen machen wollte. Zentrales Element seines Plans war eine Brücke über die Donau. Am 10. Februar 1832 wurde unter Széchenyis Beteiligung ein Brückenverein in der Absicht gegründet, »die Schwierigkeiten zu erforschen und zu beseitigen, welche bisher einer bleibenden Verbindung der beiden Städte Ofen und Pesth, entgegen standen.« Ofen ist der deutsche Name von Buda.

Um die finanziellen und vor allem technischen Voraussetzungen für den Brückenbau zu prüfen, reiste Széchenyi auch nach England, damals das industriell fortgeschrittenste Land der Welt, und sprach dort mit Ingenieuren und Architekten.

Doch in Wien stießen Széchenyis Pläne auf wenig Gegenliebe. Es konnte ja nicht angehen, ausgerechnet in Ungarn eine feste Brücke zu bauen, während in den österreichischen Erblanden der Verkehr über die Donau noch mit Fähren und Schiffsbrücken abgewickelt wurde! Auch das Militär hatte Bedenken, weil die Brücke als Privatbau dem militärischen Zugriff entzogen wäre. Vollends unmöglich für den Wiener Hof aber war der Gedanke, eine mautpflichtige Brücke zu bauen – sollten etwa auch der Adel, der Klerus und die Militärs, die doch von jeder Steuerzahlung befreit waren, für die Querung der Brücke bezahlen? Nicht zuletzt kam Widerstand sogar von den Städten Buda und Pest, die auf die Pachteinnahmen für Donaufähren und Schwimmbrücke nicht verzichten wollten.

Vier Jahre lang musste Széchenyi agitieren; er appellierte an den Patriotismus der ungarischen Adligen, verhandelte mit den Städten Buda und Pest und bearbeitete die Militärs. Doch erst mit der Unterstützung durch den Palatin, Erzherzog Joseph, wurde 1836 der Bau einer festen Brücke gesetzlich beschlossen.

Die nächsten drei Jahre organisierte Széchenyi die Finanzierung des Brückenbaus. Staatliche Gelder waren nicht zu erwarten, und die Nationalbank gab praktisch keine Kredite. Da kein Investor den Bau allein stemmen konnte – es handelte sich um das größte Einzelbauprojekt der ungarischen Geschichte – propagierte Széchenyi die Ausgabe von Aktien nach amerikanischem Vorbild.

István Graf Széchenyi

István Graf Széchenyi, die treibende Kraft bei der Planung der Brücke

William Tierney Clark, der Architekt der Brücke

Adam Clark (nicht verwandt mit W.T. Clark), der den Bau organisierte

Schließlich musste über die Art der Brücke entschieden werden. Zur Auswahl standen eine Holzbrücke auf Steinpfeilern, eine Eisenbrücke mit Bögen oder eine Hängebrücke. Der kühne Entwurf des englischen Architekten William Tierney Clark einer Hängebrücke, die an Ketten zwischen zwei pylonartigen Steinpfeilern hing, setzte sich schließlich durch.

1840 konnte endlich mit dem Bau des ersten Pfeilers begonnen werden, 1842 wurde der Grundstein für den Pester Brückenkopf gelegt. Eine letzte Verzögerung gab es durch die Aufstände 1848, ein Jahr später aber war die Kettenbrücke, auf Ungarisch Széchenyi Lánchíd genannt, endlich fertig. Mit einer Spannweite von 202 Meter war sie 30 Jahre lang die größte Brücke ihrer Art.

Széchenyi hat die fertige Brücke nie betreten: 1848 erlitt er einen Zusammenbruch und verbrachte die letzten elf Jahre seines Lebens in einer Nervenheilanstalt in Döbling bei Wien. Die Brücke aber wurde tatsächlich, wie von ihm erträumt, zum Ausgangspunkt für das Zusammenwachsen der beiden Städte Buda und Pest zu Budapest.


Carsten Heinisch
geschrieben für »Zeitwort« (SWR2) 2016

Die Porträts stammen von dem ungarischen Maler Miklós Barabás (1810–1898) und sind gemeinfrei.
Foto der Kettenbrücke: David Spigiel unter der Lizenz CC-BY-SA 4.0 (2016)