2. Dezember 1925: Gründung der I.G. Farben AG

Das Kartell will nicht sterben

Carl Duisberg

Carl Duisberg (Porträt von Max Liebermann, 1909)

Der industrielle Aufschwung Deutschlands in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hing ganz wesentlich mit der chemischen Industrie zusammen. Wichtigste Produkte waren die künstlichen, aus Steinkohlenteer gewonnenen Farbstoffe, weswegen man statt von chemischer Industrie meist von Farbenindustrie sprach. Unternehmen mit noch heute bekannten Namen wie Agfa, BASF, Bayer, Casella oder Höchst versorgten die halbe Welt mit ihren Produkten.

Dabei standen die deutschen Unternehmen untereinander in heftiger Konkurrenz. Die amerikanische Industrie dagegen machte vor, wie man durch Automatisierung, Rationalisierung, durch Preisabsprachen und Bildung sogenannter Trusts den Markt weit besser beherrschen und mehr verdienen konnte als zuvor die Einzelunternehmen.

Der deutsche Chemiker und Industrielle Carl Duisberg, Vorstandsvorsitzender bei Bayer in Leverkusen, entwickelte schon 1903 nach einem Amerikabesuch eine Vision: Auch die wichtigsten deutschen Farbenfabriken sollten sich in solch einem Kartell oder, wie man vornehmer sagte: in einer Interessengemeinschaft konzentrieren.

Es dauerte lange, bis Duisbergs Pläne gänzlich Wirklichkeit wurden. Zwar hatte sich schon 1916 eine lockere Interessengemeinschaft gebildet, doch erst die ernste Lage nach dem Ersten Weltkrieg mit Reparationszahlungen, Verlust der Exportmärkte und Hyperinflation brachte Schwung in das Vorhaben.

Zur Jahreswende 1923/1924 begannen unter Duisbergs Führung die Verhandlungen zur Vertiefung der bestehenden I.G.. Duisberg wollte, um die Kosten zu senken, den »allzu großen« Verwaltungsapparat und Arbeiterbestand der Einzelfirmen abbauen – ein Verfahren, zu dem Manager noch heute gern greifen; außerdem empfahl er, die Verkaufsorganisationen, den »größten Krebsschaden in der I.G.«, neu zu strukturieren. Schließlich sollten alle beteiligten Firmen fusionieren.

Natürlich stießen Duisbergs Pläne auf Skepsis, insbesondere bei den kleineren Firmen. Letztlich waren aber die zu erwartenden Vorteile zu groß, denn die neuen technischen Verfahren erforderten Investitionen, die die Einzelunternehmen nicht mehr leisten konnten. Schließlich stimmten die Direktoren der deutschen Chemiefirmen der Fusion zu einer Interessengemeinschaft zu.

In einer schwierigen rechtlichen Konstruktion wurde diese Fusion schließlich am 2. Dezember 1925 vollzogen: Agfa, Bayer, Höchst und etliche kleinere Unternehmen übertrugen ihre Vermögenswerte im Austausch gegen Aktien an das größte Einzelunternehmen der alten I.G., die BASF in Ludwigshafen. Nach einer Kapitalerhöhung änderte dann die BASF ihren Namen in I.G. Farbenindustrie AG mit Sitz in Frankfurt. Alle beteiligten Firmen wurden zu Niederlassungen der neuen I.G. Farben.

Zu Anfang prosperierte die I.G. Farben, wurde dann aber durch die Weltwirtschaftskrise schwer getroffen. Die Rettung kam mit den Nationalsozialisten. Mit den Schwerpunkten im Produktspektrum wie synthetischem Benzin, künstlichem Kautschuk und Kunstdünger traf die I.G. Farben genau deren Vorstellungen von Autarkie. Mit einem beispiellosen Investitionsprogramm bauten die Nazis die I.G. Farben zu einem wichtigen Instrument der Kriegsführung aus. 1943 war die I.G. Farben der weltgrößte Chemiekonzern und beschäftigte fast 200.000 Menschen, darunter ein großer Anteil Zwangsarbeiter. Auch in Auschwitz befand sich eine Außenstelle.

Nach dem Krieg zerschlugen die Alliierten die I.G. Farben, später wurden die Werke in der Bundesrepublik wieder selbstständig. Als Rest blieb die »I.G. Farbenindustrie AG in Abwicklung« mit einigen kleineren Betrieben und Beteiligungen übrig. Sie sollte sich auch um das beschlagnahmte Auslandsvermögen sowie um die Anlagen in der sowjetisch besetzten Zone kümmern und später auch Zwangsarbeiter entschädigen. Doch die ausgegebenen Liquidationsanteilscheine wurden ein Lieblingspapier der Spekulanten, und so erwies sich die »I.G. Farben in Abwicklung« als erstaunlich zählebig. Trotz einer Insolvenz im Jahr 2003 wurden Anteilsscheine bis März 2012 an den Börsen gehandelt, erst im Oktober 2012 wurde die Firma endgültig aus dem Handelsregister gestrichen.

Carsten Heinisch
geschrieben für »Zeitwort« (SWR2) 2006, aktualisiert März 2016

Bild gemeinfrei, Quelle: Wikimedia Commons