24. Juni 1509: Heinrich VIII. besteigt den englischen Thron

Die Quelle der Fröhlichkeit

»Himmel und Erde jauchzen; alles ist voller Milch, Honig und Nektar. Die Habgier hat das Land verlassen. Unser König giert nicht nach Gold oder Perlen oder Edelmetallen, sondern nach Tugend, Ehre und Unsterblichkeit.« Das schrieb der Humanist Erasmus von Rotterdam, als der junge Prince of Wales am 24. Juni 1509 unter dem Namen Heinrich VIII. zum König von England gekrönt wurde.

Auf den berühmten Holbein-Porträts wirkt er deutlich eindrucksvoller, aber so soll Heinrich VIII. im Jahr seiner Krönung ausgesehen haben (Gemälde eines unbekannten Malers, 1509).

Da war seine Braut Katharina von Aragon doch ein ganz anderes Kaliber – das könnte aber auch an der Malkunst des Michael Sittow liegen (Portrait als junges Mädchen, ca. 1500–1505).

Erasmus kannte Heinrich damals schon fast zehn Jahre; bei seinem ersten England-Aufenthalt im Jahr 1499 hatte er die Königsfamilie besucht. Obwohl Heinrich als Zweitgeborener im Schatten des Thronfolgers Arthur stand, war Erasmus von dem jungen Heinrich recht angetan: »Neun Jahre alt und bereits ein gewisses königliches Benehmen verratend: nämlich Würde des Geistes, verbunden mit bemerkenswerter Höflichkeit.« Allerdings hat das freundliche Urteil keinen allzu hohen Erkenntniswert, denn Erasmus schrieb es erst sehr viel später, als Heinrich schon König war.

Dass Heinrich nicht die für ihn vorgesehene geistliche Laufbahn einschlug, sondern selbst König wurde, war natürlich bei Erasmus’ Besuch noch nicht vorherzusehen. Aber der ältere Bruder Arthur starb bereits 1502 an der Schwindsucht, und das beförderte Heinrich mitten hinein ins politische Spiel. Sofort wurde er zum Thronfolger ernannt, und gut ein Jahr später wurde er als knapp Zwölfjähriger mit der siebzehnjährigen Witwe seines Bruders verlobt. Dafür gab es politische Gründe, denn die Braut Katharina von Aragon war die Tochter von Isabella und Ferdinand von Spanien. Heinrichs Vater wünschte diese Allianz mit Spanien als Bündnis gegen Frankreich und Schottland; dass er durch die neue Konstellation auch die beträchtliche Mitgift nicht an die Spanier zurückzahlen musste, dürfte die Entscheidung wohl noch leichter gemacht haben. Heinrich selbst wurde nicht gefragt, den Ehevertrag schlossen die Väter.

Allerdings musste noch ein päpstlicher Dispens eingeholt werden, damit Heinrich seine Schwägerin heiraten durfte. Und das erwies sich als so heikel, dass der Hochzeitstermin mehrmals verschoben werden musste.

Aber nach dem Tod des Vaters im April 1509 lag die päpstliche Genehmigung vor, und Heinrich stimmte, mittlerweile sogar nicht ganz unwillig, der staatspolitisch gebotenen Eheschließung zu. Die Feierlichkeiten der Hochzeit begannen Mitte Juni 1509 und gingen fast nahtlos über in die Krönungsfeierlichkeiten. Am 24. Juni 1509 schließlich erhielt Heinrich die englische Krone. Allein diese Inthronisierung verschlang Unsummen, die Feiern mit Ritterturnieren und Festspielen zogen sich noch einmal über mehrere Tage hin.

Obgleich er erst 17 Jahre alt war, übernahm Heinrich sofort selbst die Regierungsgeschäfte – ein erster Bruch mit der Vergangenheit, denn sonst wurde diese Aufgabe bis zum 21. Geburtstag des Kronprinzen einem Regenten übertragen. Zwar verfügte Heinrich über keinerlei politische Erfahrung, denn sein Vater hatte ihn bis zu seinem Tod von jeder Verantwortung ferngehalten, doch als ob er Macchiavelli gelesen hätte, schritt er zur Tat: Die Amnestie, die sein Vater noch kurz vor seinem Tod verkündet hatte, machte er flugs zu seiner eigenen, die übelsten Steuereinnehmer ließ er in den Tower werfen und hinrichten, und so gewann er sehr schnell Popularität. Hinzu kam seine gewinnende Persönlichkeit: Heinrich war 1,90 Meter groß, kräftig und sah gut aus. Außerdem war er außerordentlich sprachgewandt, hoch gebildet und überaus musikalisch, angeblich hat er sogar das bekannte Lied Greensleeves komponiert.

Der Humanist Thomas Morus schrieb zur Krönung: »Dieser Tag ist das Ende der Knechtschaft, er ist die Geburt der Freiheit, das Ende der Traurigkeit und Quelle der Fröhlichkeit.«

Nun, da war Morus wohl etwas zu euphorisch in seinem Urteil. Sicher, Heinrich war ein Renaissancekönig, wie es ihn kaum noch einmal gab. Sein Tun wirkt bis heute nach: Er formte die englische Nation, setzte das Königtum endgültig durch, schuf eine eigenständige Nationalkirche. Aber er war jähzornig, impulsiv, ein schlechter Menschenkenner – und in seinem Machtanspruch ging er buchstäblich über Leichen: Zwei seiner sechs Frauen ließ er hinrichten, und neben vielen anderen endete auch Thomas Morus auf dem Schafott.

Carsten Heinisch
geschrieben für »Zeitwort« (SWR2) 2006

Bild gemeinfrei; Quelle: Wikimedia Commons