9. Dezember 1959: Turbulente Hauptversammlung bei BMW

Aufstand der Kleinaktionäre

BMW 502 V8

BMW verfolgte in den 1950er Jahren eine gelinde gesagt unstete Modellpolitik: Erstes Nachkriegsmodell ab 1952 waren die Luxuslimousinen 501 mit sechs und 502 mit sogar acht Zylindern, der Form wegen auch als »Barockengel« bezeichnet.

Gegründet wurden die Bayerischen Motorenwerke als Fabrik für Flugzeugmotoren – daher ist das Markenzeichen noch heute ein stilisierter weiß-blauer Propeller. Doch schon bald kamen auch Motorräder und Autos hinzu; mit seinen Sportwagen hatte BMW schon in den 1930er Jahren einen guten Ruf.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte man an diese Erfolge anknüpfen. Das erste Nachkriegsmodell war daher eine Luxuslimousine, die aber mit ihren Acht- und Sechszylindermotoren am Markt vorbei produziert wurde, der eher bezahlbare Autos verlangte. Der teure Wagen verkaufte sich nicht nur schlecht, sondern sorgte auch für ständige Verluste: Rund 4000 Mark soll BMW mit jedem verkauften Exemplar verloren haben.

Panisch verfiel man auf das andere Extrem: Ein Kleinstwagen sollte das Unternehmen retten. BMW erwarb in Italien die Lizenz für den Nachbau des zweisitzigen Kabinenrollers »Isetta«. Das skurrile Gefährt verkaufte sich zwar nicht schlecht, doch die Erlöse konnten die anderen Verluste nicht decken.

Ende der Fünfzigerjahre gelang es in einer Kraftanstrengung, noch ein attraktives Modell zu entwickeln, den »BMW 700«. Doch die Geschäftslage blieb vorerst schlecht. So schlecht, dass Vorstand und Aufsichtsrat einen folgenschweren Plan fassten: Der Konkurrent Daimler-Benz sollte BMW übernehmen, und zwar in zwei Schritten: Zunächst ging es darum, mit einem sogenannten Kapitalschnitt die Verluste aus der Bilanz herauszurechnen. Der zweite Schritt sah vor, das Kapitel von BMW aufzustocken und dazu neue Aktien auszugeben. Alle diese neuen Aktien sollte dann Daimler-Benz zum Nennwert kaufen.

BMW Isetta

Nächstes Modell ab 1955 war der Kleinstwagen »Isetta«, der durch eine Tür in der Front bestiegen wurde.

Als dieser Plan am 9. Dezember 1959 der Hauptversammlung vorgelegt wurde, schien die Annahme eine reine Formsache. Der Hauptanteilseigner bei BMW, die Deutsche Bank, kontrollierte nämlich rund 60 Prozent der Stimmen bei der Hauptversammlung.

Doch die Kleinaktionäre waren gegen den vorgeschlagenen Sanierungsplan. Für die Deutsche Bank, die Großaktionär bei beiden Unternehmen war, hätte sich nämlich praktisch nichts geändert; sie hätte sozusagen Werte von der linken Tasche in die rechte Tasche gezaubert. Die Kleinaktionäre wären aber auf elegante Weise quasi enteignet worden, denn ihr prozentualer Anteil an dem Unternehmen wäre durch die Ausgabe der neuen Aktien erheblich gesunken.

BMW Oldtimer

Erst 1959 schloss das Modell »700« die riesige Lücke im Modellprogramm.

Unter Führung eines Anwalts von der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz und mehrerer kleinerer Aktionäre bildete sich eine Ablehnungsfront aus Belegschaft und Betriebsräten, aus BMW-Händlern und weiteren Kleinaktionären. Und tatsächlich gelang es ihnen, das Übernahmeangebot abzuwehren. Den Ausweg wies das Aktienrecht: Die Übernahme eines Unternehmens ist nicht möglich, wenn die Bilanz fehlerhaft ist. Und so fochten die Ablehner die vorgelegte Bilanz an. Zu einem solchen Antrag genügten 10 Prozent der Stimmen, und die brachten die Gegner auf. Die Hauptversammlung musste vertagt werden. Da Daimler-Benz sein Kaufangebot aber befristet hatte, war die Übernahme geplatzt.

Damit blieb BMW zwar selbstständig, wie aber sollte die Zukunft aussehen? Eine Sanierung war nicht zu umgehen. Wie ein weißer Ritter kam nun der Industrielle Herbert Quandt und erklärte sich bereit, anstelle von Daimler-Benz den Großteil der Aktien zu übernehmen. Natürlich gab es auch unter dem neuen Hauptaktionär eine straffe Sanierung, und der Verkauf von einigen Unternehmensteilen ließ sich nicht vermeiden. Doch die Kleinaktionäre hatten wenigstens die Chance, an der Kapitalerhöhung teilzunehmen, und die Banken verloren ihren Einfluss. 1960 waren genügend Mittel für die Entwicklung des schmerzlich vermissten Mittelklassemodells vorhanden. Und als dieser BMW 1500 dann 1962 endlich auf den Markt kam, stieß er in die Marktlücke von sportlich motorisierten Mittelklasseautos, die bis zum Konkurs im Jahr zuvor der Konkurrent Borgward besetzt hatte. So begann der Aufstieg von BMW zuerst zum Nischen-, dann zum Premiumhersteller.

Carsten Heinisch
geschrieben für »Zeitwort« (SWR2) 2008, aktualisiert November 2009

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Quelle: Wikimedia Commons (BMW 502, BMW Isetta, BMW 700)