6. November 1919: Albert Einstein wird berühmt
Die Sonne bringt es an den Tag
Seit über einem halben Jahrhundert ist Albert Einstein schon tot, aber er ist noch immer der bei weitem populärste Naturwissenschaftler überhaupt. Ihm ist es gelungen – vielleicht sollte man besser sagen: widerfahren –, dass seine Bekanntheit über den engen Kreis der Fachwissenschaft zu weltweitem Ruhm, ja Verehrung stieg. Man kann den Beginn seines Ruhms ziemlich genau datieren: auf eine Pressekonferenz in London, bei der er noch nicht einmal selbst anwesend war, am 6. November 1919.
Natürlich hat diese Pressekonferenz eine Vorgeschichte. 1905 hatte Einstein, damals noch »Experte III. Klasse« im Berner Patentamt, einen wissenschaftlichen Aufsatz »Zur Elektrodynamik bewegter Körper« verfasst. Darin kam er zu höchst überraschenden Schlüssen: Wenn ein Objekt sich sehr schnell bewegt, nimmt seine Masse zu und seine Ausdehnung ab, dafür läuft die Zeit für es langsamer. Zeit und Raum haben also je nach Geschwindigkeit verschiedene Bedeutung, sind folglich nicht mehr absolut, sondern relativ.
In den Jahren danach hatte Einstein diese sogenannte Relativitätstheorie wesentlich erweitert und verallgemeinert. Vereinfacht gesagt, wird der Raum durch sehr große Massen gekrümmt, Licht breitet sich nicht geradlinig aus, sondern folgt der Raumkrümmung.
Eine solche Theorie schreit danach, sie experimentell zu überprüfen. Und eine der Möglichkeiten, die Lichtkrümmung nachzuweisen, bietet die Astronomie, denn auch das Licht von fernen Sternen wird ganz leicht gekrümmt, wenn es an der Sonne mit ihrer großen Masse vorbeikommt. Die Sterne erscheinen dann gegenüber ihrer berechneten Position ein wenig verschoben. Sehen und messen kann man das aber natürlich nur, wenn man direkt in die Richtung der Sonne schaut – und das geht nur bei einer Sonnenfinsternis.
Leider treten Sonnenfinsternisse nicht nach Belieben auf, sondern nur im Abstand einiger Jahre. Wie praktisch, dass eine Sonnenfinsternis für Ende August 1914 bevorstand. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs Anfang August ließ die Expedition jedoch scheitern – vielleicht zu Einsteins Glück, denn seine Theorie hatte damals noch einen Fehler, den er erst 1915 beheben konnte.
Nächste Finsternis: Mai 1919, in Äquatornähe zu beobachten. Britische Astronomen planten schon während des Kriegs zwei Expeditionen, eine nach Brasilien, die andere an die afrikanische Westküste. Es dauerte Monate, bis die fotografischen Platten, die bei den Expeditionen belichtet wurden, wieder nach England gebracht und exakt ausgewertet waren. Erst auf der erwähnten Pressekonferenz der Royal Astronomical Society am 6. November wurden die Ergebnisse offiziell bekanntgegeben. Um es kurz zu machen: Die Theorie von Albert Einstein wurde glänzend bestätigt.
Die Zeitungen in England, in den USA und in Deutschland überschlugen sich fast: »Revolution in der Wissenschaft«, »Neue Theorie des Universums«, »Sterne schief am Himmel«, »Die Sonne bringt es an den Tag«. Die Berliner Illustrierte druckte ein seitenfüllendes Foto Einsteins auf den Titel und schrieb darunter: »Eine neue Größe der Weltgeschichte«.
In den völlig verunsicherten Zeiten nach dem Krieg und dem Umsturz aller bisherigen Gewissheiten stieß das Thema »Relativität« auf gewaltige Resonanz. Für die Vorträge standen die Leute Schlange. Und so wurde Einstein berühmt.
Carsten Heinisch
geschrieben für »Zeitwort« (SWR2) 2010
Bilder gemeinfrei; Quellen für das Foto und den Zeitungsausschnitt: Wikimedia Commons