7. Juli 1880: Konrad Duden veröffentlicht den »Ur-Duden«

Regeln aus der Praxis

Konrad Duden, Duden Woerterbuch_iii

Titelblatt des »Ur-Dudens«, ein schmales Bändchen von etwas über 200 Druckseiten. Die aktuelle (26.) Auflage des Dudens hat 1216 Druckseiten.

Der Name ist zum Programm geworden: Wer heute Duden sagt, meint kaum einmal den Gymnasiallehrer Konrad Duden als Person, sondern das verbreitete Nachschlagewerk zur deutschen Rechtschreibung. Sein Vorvorvorgänger, das »Vollständige Orthographische Wörterbuch der deutschen Sprache«, kurz als »Ur-Duden« bezeichnet, erschien am 7. Juli 1880.

Wie kommt ein Lehrer dazu, ein solches Wert zusammenzustellen? Matthias Wermke, der Leiter der heutigen Duden-Redaktion, begründet das so:

»Weil er in der Schulpraxis erkannt hat, dass der Zustand der Regellosigkeit für Lehrer und Schüler gleichermaßen unerträglich war. Wir sprechen von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Damals gab es noch keine allgemein verbindlichen Regeln, nach denen die deutsche Sprache geschrieben werden sollte, und die Situation war so, dass es in den unterschiedlichen Teilstaaten Deutschlands unterschiedliche Regelwerke gab, die noch nicht einmal in den Staaten selbst überall als verbindlich anerkannt waren. Dementsprechend konnte von Schule zu Schule das Schreiben nach ganz verschiedenen Regeln gelehrt werden.«

Ein Lehrer hatte also allen Grund, sich besonders eingehend mit der Rechtschreibung zu befassen. Doch für die Verschriftung der deutschen Sprache gab es damals in der Wissenschaft ganz verschiedene Ansätze. So wurde etwa ernsthaft gefordert, bei der Schreibung nicht der modernen Lautgestalt eines Wortes zu folgen, sondern dem Vorbild des Mittelhochdeutschen.

Dagegen stand der pragmatische Ansatz »Schreibe, wie du sprichst«, den auch Konrad Duden verfolgte. Kurz nach der Gründung des Deutschen Reichs 1871 schrieb er eine Abhandlung dazu. Zwei Ziele wollte er so erreichen: Die Rechtschreibung sollte im ganzen Reich einheitlich sein, und er wollte die Schreibungen so vereinfachen, dass sie leicht zu erlernen sind.

Um endlich zu einheitlichen Regelungen zu kommen, wurde 1876 die erste Orthographische Konferenz nach Berlin eingeladen. Auch Konrad Duden war dabei. Doch die Konferenz scheiterte, so Wermke, »weil man sich eben nicht darauf einigen konnte, nach welchen Regeln das Deutsche sinnvollerweise zu verschriften sei. Als man hörte, welche absonderlichen Forderungen gestellt worden sind – man sollte zum Beispiel Medicin und Citrone nicht mehr mit C, sondern mit Z schreiben –, da gab es erhebliche Proteste.« Die Änderungen der Schreibungen würden die Sprache verändern, sie seien ein unnatürlicher Eingriff in das »Kulturgut Sprache« – im Wesentlichen dieselben Argumente, die auch 120 Jahre später bei der jüngsten Rechtschreibreform zu hören waren.

Schließlich nimmt Reichskanzler Bismarck die Proteste zum Anlass, die Vorschläge der Konferenz zurückzuweisen. Alles bleibt beim Alten, fast jedenfalls. Denn nun geben die Regierungen der deutschen Länder ihrerseits eigene Regelungen der Rechtschreibung in Auftrag.

Um wenigstens etwas von den Vorschlägen der Konferenz zu retten, macht sich Konrad Duden auf eigene Faust daran, die Regelungen für Preußen und für Bayern auf ein Verzeichnis mit 30.000 Wörtern anzuwenden. Glücklicherweise weichen diese Regeln kaum voneinander ab. »Das Schlaue an der Geschichte war,« so bewertet der heutige Leiter der Duden-Redaktion das Vorgehen, »dass er damit diejenigen Rechtschreibregeln, die für die Schulen in den bevölkerungsreichsten deutschen Teilstaaten galten, in seinem Wörterbuch umsetzen konnte, was letztendlich dazu beigetragen haben mag, dass der Ur-Duden, also das Vollständige Orthographische Wörterbuch der deutschen Sprache, aus dem Stand heraus zum Bestseller geworden ist.«

Und ein Bestseller ist er geblieben. Der Rechtschreib-Duden verkauft sich millionenfach, die aktuelle Ausgabe vom Herbst 2014 ist schon die 26. Auflage. Und in der Duden-Redaktion sorgen 30 Menschen dafür, dass der Duden zu einer ganzen Buchreihe geworden ist, mit verschiedenen Themenbänden und seit einigen Jahren auch PC-Programmen. Offenbar ist die Rechtschreibung noch immer so kompliziert, dass man mit Kompetenz dazu viel Geld verdienen kann.

Carsten Heinisch
geschrieben für »Zeitwort« (SWR2) 2009, ergänzt 2016

Bild gemeinfrei, Quelle: Wiki Commons