9. Mai 1876: Der Viertakt-Motor von Nikolaus Otto läuft erstmals
Kraft in vier Takten
Die Konstruktion eines wirtschaftlichen Motors für das Gewerbe, der einfacher zu bedienen war als die unhandliche Dampfmaschine – das war die große Herausforderung der Ingenieure in der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Als Erstem gelang es dem französischen Techniker Étienne Lenoir 1860, einen solchen Motor mit Leuchtgas als Brennstoff vorzustellen. Anfangs enthusiastisch begrüßt, verschwand er aber bald wieder vom Markt, weil sein Verbrauch zu hoch war und der Motor leicht explodierte. Aber immerhin: Lenoir hatte gezeigt, dass ein Verbrennungsmotor prinzipiell möglich war.
Einer der Vielen, die sich in den Fußstapfen Lenoirs mit der Konstruktion eines Motors beschäftigten, war Nikolaus Otto in Köln. Eigentlich arbeitete der technisch begabte Autodidakt als Handlungsreisender für Kolonialwaren, aber in seiner Freizeit ging er technischen Fragen des Motorenbaus nach. Seine Versuche führten ihn bald zum Kernproblem: Im Lenoir-Motor saugt der Kolben beim Hinabfahren ein Gemisch aus Luft und Gas an; dieses Gemisch wird dann auf halbem Wege ohne Verdichtung gezündet. Das explodierende Gemisch treibt den Kolben weiter nach unten und leistet dabei Arbeit, der äußere Luftdruck treibt den Kolben zurück.
Ottos große Idee war es, das Gemisch aus Luft und Gas zu verdichten. So konnte man den Gasanteil reduzieren und den Verbrauch senken. Allerdings musste sich nun der Kolben zweimal auf und ab bewegen, um einmal Arbeit zu verrichten. Das ist das heute jedem Schulkind geläufige Viertaktprinzip.
Die Versuche Ottos mit dem Viertakt-Motor beeindruckten den Kölner Unternehmer Eugen Langen. Er gründete 1864 zusammen mit Otto in dem rechtsrheinischen Kölner Vorort Deutz eine Firma, die ausschließlich zum Bau von Verbrennungsmotoren bestimmt war. Die technische Leitung übernahm Gottlieb Daimler, Otto wurde kaufmännischer Direktor. Dennoch beschäftigte Otto sich auch weiterhin auch mit der technischen Verbesserung seines Motors. Es musste doch möglich sein, einen Motor mit stoßfreier, sozusagen sanfter Verbrennung zu bauen. Dann könnte man auch auf die Mithilfe des Luftdrucks verzichten und die Leistung über die bislang maximal erreichbaren 3 PS steigern.
Am 9. Mai 1876 war Otto am Ziel: Ein neuartiger Versuchsmotor lief zum ersten Mal. Das dabei aufgenommene Diagramm der Arbeitsweise ist sozusagen die Geburtsurkunde des Verbrennungsmotors, wie wir ihn heute aus hunderten Millionen Autos kennen. Neuartig war, dass es nur an einem einzigen Ort im Kolben dicht bei der Zündstelle ein zündfähiges Gemisch aus Gas und Luft gab, im Rest des Kolbens war die Gaskonzentration viel geringer. Diese besondere Art der Gaszufuhr, die er »schichtenweise Lagerung« nannte, ließ sich Otto zusammen mit dem Viertaktprinzip patentieren.
Der neue Motor war ein großer Erfolg und verkaufte sich bestens. Die Direktion des Deutzer Werks beschloss einstimmig, ihn als »Ottos neuer Motor« oder kurz »Ottomotor« zu bezeichnen.
Aber ach, es ist nicht alles Sonnenschein. Es dauerte nur kurze Zeit, bis Ottos Patent heftig und mit heute unverständlicher Schärfe bekämpft wurde. Und als die Anwälte der Kläger eine obskure und nie veröffentlichte Schrift ausfindig machen konnten, die das Viertaktprinzip schon zehn Jahre vor Otto beschrieben haben soll, hob das Reichsgericht 1886 das Patent wieder auf. Für die Gasmotorenfabrik Deutz bedeutete das zwar keinen großen Umsatzverlust, denn die Produktion der Konkurrenz war noch gering, und der Motor im Patent-Motorwagen von Carl Benz hatte eine viel zu geringe Leistung, um den Kölnern das Geschäft mit stationären Motoren zu stören. Aber Otto fühlte sich in seiner Ehre angegriffen und zutiefst verletzt. Dass spätere Gutachten seine Priorität und Schöpferkraft eindeutig belegten, hat Otto nicht mehr erlebt. Er war 1891 an Herzschwäche gestorben. Sein Grabstein trägt heute die Inschrift: »Schöpfer des Verbrennungsmotors.«
Carsten Heinisch
geschrieben für »Zeitwort« (SWR2) 2006, aktualisiert November 2009
Bild gemeinfrei, Quelle Wikimedia Commons