2. Mai 1785: Erste deutsche Dampfmaschine in Betrieb gesetzt

Ein Fall von Industriespionage

Erste Dampfmaschine in Deutschland

Der Nachbau der Dampfmaschine im Mansfeld-Museum. Der Dampfzylinder aus Gusseisen misst im Durchmesser 28 rheinländische Zoll, also 72,3 Zentimeter. Im Hintergrund der ursprüngliche kupferne Dampfkessel, der nach drei Jahren durch einen Gusseisenkessel ersetzt wurde.

Als zu Beginn des 18. Jahrhunderts in England die ersten primitiven Dampfmaschinen in Gebrauch kamen, dienten sie keineswegs zum Antrieb von Maschinen oder gar von Lokomotiven: Sie wurden ausschließlich zum Wasserheben im Bergbau eingesetzt. Mit ihnen war es endlich möglich, unabhängig von Wind-, Wasser- oder Pferdekraft die Entwässerungsanlagen der Schächte anzutreiben. Allerdings hatten diese Maschinen einen erbärmlichen Wirkungsgrad: Nur ein Prozent der in der Kohle steckenden Energie wurde in Pumpleistung umgesetzt. Da sie aber ausschließlich in Kohlebergwerken eingesetzt wurden, spielte der hohe Brennstoffverbrauch keine große Rolle.

Es dauerte mehrere Jahrzehnte, bis es zu der ersten wirklichen Verbesserung der primitiven Modelle kam und der Schotte James Watt wesentliche Neuerungen einführte. In seinem Patent von 1769 wurde besonders hervorgehoben »die Verminderung des Verbrauchs von Dampf, folglich auch an Brennstoff bei Feuermaschinen«. Watt und sein Geschäftspartner ließen sich das Patent gut bezahlen. Aber da die Maschinen des neuen Typs nur ein Drittel des Brennstoffs brauchten, setzten sie sich schließlich doch durch – zuerst bei den Betreibern der Erzgruben in Cornwall, die ihre Kohle selbst einkaufen mussten.

Auch nach Deutschland gelangte der gute Ruf der Watt’schen Dampfmaschine. Führend war hier der preußische Kupferschiefer-Bergbau bei Hettstedt im nordöstlichen Harzvorland. Dort im Mansfeld war schon zu Luthers Zeiten Bergbau betrieben worden; nun waren die oberflächennahen Lagerstätten erschöpft, es blieb nur der Ausweg in größere Tiefen. Man plante den Bau eines neuen, fast 100 Meter tiefen Schachts. Die zur Klärung der Schachtentwässerung eingesetzte Kommission – wir sind in Preußen! – empfahl den Bau einer Dampfmaschine als einzig erfolgversprechenden Weg und ließ bei der Watt’schen Dampfmaschinenfabrik ein Angebot einholen.

Dieses Angebot war jedoch geknüpft an die Erteilung eines 14-jährigen Liefermonopols, auf das sich die Bergbauverwaltung nicht einlassen wollte. So entschloss man sich zu einem anderen Vorgehen und schickte den jungen Bergmaschinenmann Carl Friedrich Bückling auf eine Studienreise nach England. Er sollte die neuen Maschinen so eingehend erkunden, dass man sie in Preußen würde nachbauen können – ein früher Fall von Industriespionage. 1779 reist Bückling ab, spricht mit Watt und seinem Geschäftspartner und besichtigt zahlreiche Maschinen. Als er nach einem Jahr zurückkehrt, ist bereits mit der Abteufung des neuen König-Friedrich-Schachts begonnen worden.

Bückling experimentiert mit einer Modellmaschine im Maßstab 1:6 und legt einen Kostenvoranschlag vor. Schließlich bewilligt der König den vorgelegten »Generalplan«, und Bückling erhält den Auftrag für die Konstruktion der ersten deutschen Dampfmaschine Watt’scher Bauart. Er richtet auf dem Revier eine Werkstatt ein, größere Teile (so der Dampfzylinder, die Kolbenstangen oder die gusseisernen Hilfspumpen) werden aber von anderen Werken angeliefert. Während Bückling noch mit dem Bau seiner Maschine beschäftigt ist, wird im Schacht bereits die Förderung aufgenommen. Endlich, 1785, ist Bückling dann so weit. Der Betrieb im Schacht wird wieder eingestellt, die provisorischen Pferdeschöpfwerke werden still gelegt. Bückling baut die Einzelteile seiner Dampfmaschine zusammen und überprüft ihre Funktion. Am 2. Mai 1785 wird die Maschine erstmals probeweise unter Dampf gesetzt, ab August dann endgültig in Betrieb genommen.

Die Abmessungen der Maschine sind noch heute beeindruckend: Der Dampfzylinder hat einen Durchmesser von über 70 cm, der Kolbenweg beträgt 2,50 Meter. Über einer massiven Scheidemauer ist der fast 8 Meter lange und über 5 Tonnen schwere Balancier gelagert, das ist der Kipphebel aus massiver Eiche, mit dem die Kolbenbewegung auf die Pumpe übertragen wird.

Verschiedene Unzulänglichkeiten der Steuerung und Gussfehler an mehreren Teilen verhindern jedoch, dass die Dampfmaschine zufrieden stellend funktioniert. Erst nach zwei Jahren läuft sie mit der gewünschten Zuverlässigkeit. Beim weiteren Ausbau der Schächte stellen sich dann aber die Wasserzuflüsse als noch viel höher heraus als angenommen, sodass eine Verstärkung der Pumpenanlage nötig wird. Mit einem neuen Kessel und einem neuen Zylinder, einer neuen Schachtpumpe, später nochmals einem neuen Kessel und diversen Verbesserungen an der Steuerung kann man die Pumpleistung zwar immer mehr steigern, aber alle diese Bemühungen nützen nichts angesichts der immer stärkeren Wassereinbrüche. Schon 1794 wird es daher nötig, die Dampfmaschine durch eine stärkere zu ersetzen; auch dieses Modell wird von Bückling gebaut und über zwanzig Jahre lang am König-Friedrich-Schacht eingesetzt.

Bücklings erstes Modell wurde auf die Steinkohlengrube Löbejün dreißig Kilometer weiter östlich umgesetzt, wo sie bis 1848, ebenfalls zur Wasserhebung, ihren Dienst versah. Danach wurde sie verschrottet. Eine Rekonstruktion der Maschine ist heute im Mansfeld-Museum Hettstedt zu sehen. Nicht weit entfernt, inmitten der Abraumhalden, steht das zur Kaiserzeit errichtete »Maschinendenkmal«; die Inschrift auf der Plakette erinnert an die Inbetriebnahme der ersten »… aus deutschem Material und von deutschen Arbeitern hergestellte Feuermaschine in … dauernder gewerblicher Benutzung«. Dass die Idee dazu aber einem schottischen Kopf entsprang, wird tunlichst verschwiegen.

Carsten Heinisch
geschrieben für »Zeitwort« (SWR2) 2000

Foto: Mansfeld-Museum Hettstedt