1. April 1903: Dresdner Polizei verwendet erstmals Fingerabdrücke

Dem Täter auf der Spur

Erste Fingerabdrücke von William James Herschel 1859-1860

Finger- und Handabdrücke, die der Kolonialbeamte William James Herschel in Indien während der Jahre 1859 und 1860 fertigte

Heute weiß es jedes Schulkind aus unzähligen Kriminalfilmen: Ein Verbrecher muss Handschuhe tragen, damit man ihn nicht anhand seiner Fingerabdrücke identifizieren kann. Aber in Deutschland gilt das erst seit gut hundert Jahren: Am 1. April 1903 wurde auf Anregung des damaligen Leiters der Dresdner Kriminalpolizei in Sachsen die Auswertung von Fingerabdrücken in die polizeiliche Arbeit eingeführt.

Beim Betrachten der Fingerspitzen sieht man, dass die Haut dort kleine Rillen hat, so genannte Papillarleisten. Diese Leisten bilden Muster, die für jeden Menschen anders aussehen. Dies war zwar schon in Babylonien und bei den Assyrern vor über 4000 Jahren bekannt, und im alten China dienten Stempelabdrücke der Fingerkuppen zur Signierung von Verträgen. Aber das Wissen ging verloren und wurde erst ab dem 18. Jahrhundert wieder entdeckt.

Der erste Europäer, der die Fingermuster polizeilichen Zwecken nutzbar machte, war der britische Verwaltungsbeamte William James Herschel (übrigens ein Enkel des Astronomen Wilhelm Herschel, der den Planeten Uranus entdeckt hatte) in Indien. Er ließ indische Soldaten die Auszahlungsquittungen ihrer Pensionen mit einem Fingerabdruck signieren; so konnte er vermeiden, dass die Gelder doppelt ausgezahlt wurden. Nach systematischen Versuchen schlug er 1877 vor, dies Verfahren auch zur Identifizierung von Strafgefangenen einzuführen, hatte damit aber keinen Erfolg. Erst einige Jahre später las der Wissenschaftler Francis Galton, ein Vetter von Charles Darwin, einen Artikel von Herschel zu diesem Thema und war fasziniert. Ihm gelang es, ein System zur Klassifizierung der Fingerabdrücke zu finden. Er fand zwar nur wenige Grundtypen – Bogen, Wirbel und Schleifen – aber es gibt so viele Kombinationsmöglichkeiten der Merkmale, dass man die Muster selbst bei eineiigen Zwillingen unterscheiden kann. Damit begründete Galton die Wissenschaft der Daktyloskopie (nach dem griechischen Wort daktylos »Finger«).

Dennoch ließen sich die Polizeiführungen nicht von der Daktyloskopie begeistern. Es gab ja eine andere damals brandneue Methode, eine Person völlig eindeutig zu identifizieren: die Bertillonage. Dieses Verfahren war um 1880 von dem Franzosen Alphonse Bertillon entwickelt worden und beruht auf der heute als völlig unhaltbar erkannten Annahme, dass sich die Körpermaße eines Erwachsenen nicht mehr verändern. Etwa ein Dutzend Messungen sollten eine Person eindeutig charakterisieren. Die Bertillonage wurde im Verlauf der 1890er Jahre in den meisten europäischen Ländern – auch in Deutschland – eingeführt.

Nur die Praktiker bei der Polizei murrten, denn die Bertillonage war fehleranfällig und schwer zu handhaben. Da kam Hilfe aus einer völlig unerwarteten Weltgegend: aus Argentinien. Hier war 1894 bei einem Doppelmord ein zufällig entdeckter blutiger Fingerabdruck daktyloskopisch ausgewertet worden. Und erstmals gelang es damit, den Täter zu überführen.

1896 schaffte Argentinien die Bertillonage wieder ab und führte als erstes Land weltweit die Daktyloskopie für die polizeiliche Arbeit ein. Nach spektakulären Erfolgen bei der Aufklärung von Gewaltverbrechen schlossen sich nach und nach auch andere Länder an, am 1. April 1903 als erster deutscher Staat auch das Land Sachsen. Aber erst 1914 wurde auf dem Internationalen Polizeikongress in Monaco die allgemeine Einführung der Daktyloskopie in Europa beschlossen.

Heute gehört die Aufnahme von Fingerabdrücken zum Standardrepertoire der polizeilichen Spurensicherung. Durch Bestäuben mit Ruß, durch Chemikalien oder noch ausgefeiltere Methoden werden die Fingerabdrücke von allen denkbaren Materialien aufgenommen. Seit 1970 gibt es in Deutschland eine Datenverarbeitungsanlage zur maschinellen Auswertung der Fingerabdrücke, 1993 wurde das »Automatische Fingerabdruckidentifizierungssystem« (AFIS) eingeführt. Damit ist es möglich, einen Abdruck mit den bundesweit 26 Millionen vorhandenen Fingerabdruckblättern von Straftätern zu vergleichen. Seit 2003 wird ein auf AFIS beruhendes Verfahren sogar europaweit angewandt.

Das neueste Mittel der Wahl bei der polizeilichen Aufklärung, insbesondere von Sexualdelikten, ist der »genetische Fingerabdruck«. Bei diesem Verfahren nutzt man aus, dass die genetische Information eines jeden Menschen einmalig ist. Durch Untersuchung von menschlichen Zellen – gewonnen aus Körperflüssigkeiten wie Blut, Sperma oder Speichel, aber auch aus Hautschuppen oder Haaren – lässt sich eine Person wie beim Fingerabdruck identifizieren. In den Niederlanden wurde gar ein Gesetz beschlossen, nach dem man aus den genetischen Spuren auch auf das Aussehen des Täters schließen darf. Auf einer anderen Ebene kehrt man damit zur Körpervermessung des Alphonse Bertillon zurück.

Carsten Heinisch
geschrieben für »Die Rheinpfalz« (Chronik-Seite) 2003, aktualisiert November 2009

Bild gemeinfrei, Quelle: Wikimedia Commons