2. März 1972: Start der amerikanischen Raumsonde Pioneer 10

Die Visitenkarte der Menschheit

Amerikanischen Raumsonde Pioneer 10, die Visitenkarte der Menschheit, NASA Pioneer Plaque

Diese »Visitenkarte« wird intelligenten Außerirdischen alle wichtigen Informationen über uns Menschen mitteilen: unsere genaue Adresse (hinter dem vierzehnten Pulsar scharf abbiegen), das Aussehen (man beachte, dass die Frau keine Geschlechtsorgane hat) und unsere Größe (das Achtfache der Wellenlänge des Hyperfeinstrukturübergangs von Wasserstoff, ca. 21 cm, wie man aus der binär dargestellten Zahl 8 rechts neben der Frau unschwer erkennen kann).

Ein Pionier ist, so sagt uns das Fremdwörterbuch, ein Vorkämpfer, der den Weg bereitet für die Nachhut. Aber der Pionier, dem sich dieser Beitrag widmet, hat keine Nachfolger gehabt, er hat einen Weg bereitet, auf dem ihm niemand folgen kann.

Pioneer 10, so der Name dieses Vorkämpfers, war der zehnte Vertreter einer Reihe von Planetensonden, die seit Ende der 1950er Jahre von der NASA gestartet wurden. Die ersten dieser Sonden sollten bis zum Mond fliegen, ihn umkreisen und Bilder der Oberfläche zur Erde zurückfunken. Sonderlich erfolgreich waren sie nicht: Pioneer 1 erreichte den Mond nicht, Pioneer 2 hatte einen Fehlstart, auch Pioneer 3 kam nicht bis zum Mond; erst Pioneer 4 flog in rund 60.000 km Entfernung am Mond vorbei und funkte verwertbare Daten zur Erde. Die fünfte bis neunte der Sonden flogen in Richtung der Sonne und untersuchten den Teilchenstrom, den die Sonne ausstößt, die sechste Sonde näherte sich auch dem Schweif des Kometen Kohoutek.

Mit der zehnten Sonde schließlich begann ein neuer Abschnitt des Programms: Nun wandte man die Aufmerksamkeit den äußeren Planeten unseres Sonnensystems zu und schickte eine Sonde zum Jupiter, eine andere zum Saturn. Die Jupitersonde namens Pioneer 10 startete am 2. März 1972 auf ihren langen Weg.

Nach gut eineinhalb Jahren hatte die Sonde den Jupiter bis auf ziemlich dichte 130.000 km erreicht und lieferte die ersten sensationellen, wissenschaftlich sehr ergiebigen Bilder von der Oberfläche dieses Gasplaneten. Der Vorbeiflug dauerte nur ein paar Tage, dann flog die Sonde weiter zum Rand unseres Sonnensystems. 1983 kreuzte sie die Bahn des äußersten Planeten Neptun und verließ damit als erstes von Menschen hergestelltes Objekt unser Sonnensystem.

Bis zum offiziellen Ende der Mission im Frühjahr 1997 wurde die Sonde noch kontinuierlich überwacht, und man konnte ihr Signal aufnehmen, auch wenn es nur noch sehr, sehr schwach war. Wissenschaftlich interessante Inhalte wurden in diesem Stadium aber praktisch nicht mehr übermittelt, denn um Energie zu sparen, war der größte Teil der Messinstrumente bereits abgeschaltet. Außerdem raste die Sonde durch den leeren interstellaren Raum, wo es buchstäblich nichts zu sehen gibt. Der Empfang der Signale war mehr eine Übung für die Bodenüberwachung, bis zu welchem Stadium eine Kommunikation mit interstellaren Sonden überhaupt möglich ist. Schließlich fielen die Signale so schwach aus, dass sie praktisch nicht mehr nachweisbar waren. Im Jahr 2002 erhielt die Sonde einen letzten Steuerbefehl, den sie auch bestätigte, Anfang 2003 wurde zum allerletzten Mal ein Lebenszeichen der Sonde aufgenommen. Mittlerweile ist Pioneer 10 soweit von der Erde entfernt, dass ein Funkspruch von dort – wenn man ihn denn noch empfangen könnte – fast einen halben Tag unterwegs wäre: etwa zwölfeinhalb Milliarden Kilometer.

Und wenn sie nicht von einem Raumkörper getroffen worden ist, dann rast die Sonde wie ein Geisterschiff noch heute mit gut 12 Kilometern pro Sekunde in Richtung Aldebaran, dem Hauptstern im Sternbild Stier; Aldebaran ist etwa 68 Lichtjahre entfernt, Pioneer 10 wird also, wenn alles gut geht, in etwa zwei Millionen Jahren dort ankommen.

Sollte die Sonde dort oder auf dem Weg dorthin von Außerirdischen aufgebracht werden, dann werden sie an der Sonde eine vergoldete Plakette etwa im Format DIN A5 finden, sozusagen eine Visitenkarte der Menschheit. Hoffentlich sind die Außerirdischen intelligent genug, diese Plakette auch zu lesen: Als Strichzeichnung sieht man dort einen Mann und eine Frau, die mit erhobener Hand Friedfertigkeit signalisieren. Wo mögen diese merkwürdigen Wesen herkommen? Nun, wenn die Außerirdischen intelligent sind, können sie den Strahlenkranz neben der Strichzeichnung deuten: Er symbolisiert die vierzehn Pulsare in der Nachbarschaft unseres Sonnensystems, und der Kreis in der Mitte soll unsere Sonne andeuten. Und wenn die Außerirdischen erst einmal die Sonne enträtselt haben, dann wird es ganz einfach sein, die merkwürdigen Strichmännchen auf dem dritten Planeten von der Sonne aus zu lokalisieren. Bleibt noch die Frage, wann die Sonde gestartet ist und wie groß ihre Erfinder sind. Natürlich ist auf der Plakette nicht der 2. März 1972 und 1 Meter 80 vermerkt – aber auch diese wichtigen Informationen sind in einer Art verschlüsselt, die intelligente Außerirdische hoffentlich enträtseln können.

Ob aber die Außerirdischen, wenn es sie bei Aldebaran denn überhaupt geben sollte, intelligent genug sind, alle diese Angaben zu entschlüsseln? Und neugierig genug, dem Hinweis auch nachzugehen? Und wagemutig genug, sich ins Ungewisse aufzumachen? Warten wir’s ab, in ein paar Millionen Jahren wissen wir Bescheid.

Carsten Heinisch
geschrieben für »Zeitwort« (SWR2) 2004

aktualisiert Dezember 2009
Bild (NASA) gemeinfrei; Quelle: Wikimedia Commons