25. Oktober 1786: G.C. Lichtenberg schlägt ein neues Papierformat vor

Angenehm und vorzüglich

Wieso eigentlich kann man ein Blatt Papier eines beliebigen Herstellers in jeden Computerdrucker einlegen? Oder warum passen Papier, Briefumschlag und Aktendeckel immer zusammen?

Das Zauberwort heißt A4, eine Entwicklung des Deutschen Instituts für Normung DIN aus dem Jahr 1922. Die theoretischen Überlegungen dazu aber gehen schon ins ausgehende 18. Jahrhundert zurück. Der erste schriftliche Beleg stammt von Georg Christoph Lichtenberg, dem Göttinger Physiker und Aufklärer, der heute vor allem für seine Aphorismen bekannt ist. Lichtenbergs Idee steht in einem Brief, den er am 25. Oktober 1786 schrieb. Adressat war sein Göttinger Kollege Johann Beckmann, der Begründer der Technologie als Wissenschaft. In seinem Brief führt Lichtenberg aus, er habe versucht,

»einen Bogen Papier zu finden, bey dem alle Formate … einander ähnlich wären. … Die kleine Seite des Rechtecks muß sich nämlich zu der großen verhalten wie 1:√2 oder wie die Seite des Quadrats zu seiner Diagonale. Die Form hat etwas angenehmes und vorzügliches vor der gewöhnlichen.«

Das »angenehme und vorzügliche« bei diesen Papiergrößen war, dass sich das Seitenverhältnis der Bögen beim Halbieren nicht ändert:Die Blätter sind einander immer ähnlich. Mit anderen Papier­größen geht das nicht, mit keinem quadratischen Notizzettel und keiner Tageszeitung.

Leider ging Lichtenbergs Idee verloren. Um 1900 gab es ein Wirrwarr an Papierformaten mit so klangvollen Namen wie Kanzlei, Imperial, Propatria oder Bischof. Die Papierschere zum Zurechtschneiden der Bögen auf die gewünschte Größe gehörte auf jeden Schreibtisch.

Es war wieder ein Naturwissenschaftler, der Chemiker und Nobelpreisträger Wilhelm Ostwald, der 1909 durch eigene Überlegungen zu Lichtenbergs »angenehmen und vorzüglichen« Papierformaten kam. Für sein »Weltformat«, wie er es nannte, verwendete er die Einheit Meter, verschiedene Größen entstanden durch Halbierung bzw. Dopplung der Bögen, und durch das Seitenverhältnis 1:√2 waren alle Bögen in verschiedenen Größen ähnlich.

Aber das »Weltformat« war unpraktisch. Die Bogengröße, die sich durch mehrfache Verdopplung der Ausgangsgröße 1 cm × 1,41 cm ergab, passte nämlich nicht in die Aktendeckel im alther­gebrachten Folioformat, die millionenfach in den Amtsstuben standen. Die Behörden lehnten Ostwalds Idee ab. Damit war das »Weltformat« gestorben.

Der Erste Weltkrieg kurze Zeit darauf führte dann zum nötigen Innovationsschub: Militär und Industrie forderten lautstark einheitliche Papierformate, um technische Zeichnungen problemlos austauschen zu können und um die Verschwendung durch das Zurechtschneiden des Papiers auf die gewünschte Größe zu beenden. 1917 wurde ein Normenausschuss gegründet, der sich mit dem Thema befasste. Aber erst 1922 wurde dann die Norm DIN 476 veröffentlicht, in der das neue Papierformat festgelegt war.

Bahnbrechend war die Idee, dass nicht eine Seitenlänge des Bogens, sondern dass dessen Fläche eine metrische Größe haben sollte. Ausgangspunkt war ein Papierbogen der Fläche 1 m2 im Seitenverhältnis 1:√2. Diese Größe wird als A0 bezeichnet. Einmal halbieren führt auf A1, zweimal auf A2, dreimal auf A3 und viermal halbieren auf das heute wohlbekannte A4 mit den »krummen« Seitenmaßen 221 mm × 297 mm. In weiteren Normen wurde die Größe von Umschlägen und Aktendeckeln bestimmt, und als dann eine Norm auch die genaue Position der Adresse in einem Geschäftsbrief festlegte, konnte man sogar Fensterbriefumschläge anbieten.

In dieser Form ist die Reihe der A-Formate für Papier ein wirkliches »Weltformat« geworden. Nur die Amerikaner machen mal wieder nicht mit. Die schreiben ihre Briefe im „Letter“-Format, das etwa so breit, aber nicht ganz so hoch ist wie A4. Geht auch, aber wer nicht aufpasst, hat Ärger mit dem Computerdrucker.


Carsten Heinisch