25. Juli 1895: Aus Maria Skłodowska wird Madame Curie
Liebe unter Physikern
Als ich eintrat, stand Pierre Curie in der Nische der Balkontür. Er sah sehr jung aus, obwohl er damals fünfunddreißig Jahre alt war. Was mir an ihm auffiel, war der Blick seiner hellen Augen und eine Spur von Lässigkeit in der Haltung seines hochgewachsenen Körpers. Die etwas langsame, bedächtige Sprechweise, seine Schlichtheit, das zugleich ernste und junge Lächeln hatten etwas Vertrauensweckendes. Es entwickelte sich ein Gespräch zwischen uns, das bald freundschaftlichen Charakter annahm; wir sprachen über wissenschaftliche Fragen und ich war glücklich, mich mit ihm beraten zu können.
In diesen schlichten Worten beschreibt Anfang 1894 Maria Skłodowska, eine damals 27 Jahre alte Polin, die erste Begegnung mit ihrem späteren Mann in Paris. Umgekehrt verspürt auch Pierre Curie, ein damals in Frankreich noch unbekannter, bei seinen ausländischen Kollegen aber hochgeschätzter Wissenschaftler von Anfang an eine starke Anziehungskraft zu dieser wenig gesprächigen Fremden. Sie stammt aus Warschau, die französische Sprache macht ihr noch etwas Schwierigkeiten, sie ist auf eine herbe Weise schön, doch nicht kokett. Sie ist in Paris, weil im damals zaristischen Polen Frauen für ein Universitätsstudium nicht zugelassen sind; darum ist sie an die Sorbonne gegangen und hört dort Vorlesungen in Mathematik und Physik. Sie ist eine sehr eifrige, gute Studentin – Jahrgangsbeste in Physik, kurz vor dem Abschluss in Mathematik. Er fragt, ob sie in Paris bleiben will, doch zu seiner Enttäuschung kündigt sie an, im Sommer nach Warschau zurückzugehen: Sie will in Polen Lehrerin werden, um so ihrem Land zu helfen und auf ihre Weise der Russifizierung entgegenwirken.
Offenbar hat dieses erste Treffen großen Eindruck gemacht, bei ihm mehr als bei ihr, die ganz in ihrer Arbeit vergraben war. Ein paar Mal treffen sich die beiden bei den Sitzungen der Physikalischen Gesellschaft; bei einer solchen Gelegenheit hat er ihr einen Sonderdruck seiner letzten Arbeit »Über die Symmetrie in den physikalischen Erscheinungen« überreicht – mit Widmung »Für Fräulein Skłodowska in respektvoller Freundschaft«. Schließlich hat er gebeten, sie besuchen zu dürfen, und sie empfängt ihn in ihrem ärmlichen, ungeheizten Zimmer unter dem Dach. Er darf wiederkommen, es entwickelt sich eine innige Freundschaft; es bleibt wie damals üblich beim Sie, doch er nennt sie Marie.
Der Sommer kommt, wie angekündigt geht Marie zurück nach Warschau. Immerhin hat er ihr das Versprechen abgerungen, im Oktober nach Paris zurückzukehren. Sie schreiben sich regelmäßig Briefe. Und er deutet erstmals eine Heirat an.
Tatsächlich kommt Marie zurück nach Paris. Er wiederholt seinen Antrag, sie zögert. Sie hat doch ihre Prinzipien, sie will ihrem Land helfen, sie kann doch nicht in Paris bleiben und Polen verlassen! Pierre bleibt hartnäckig, er würde sogar mit ihr nach Polen gehen. Schließlich schmilzt Maries Widerstand, sie verlobt sich mit Pierre. Die Familien geben ihren Segen.
Ein paar Tage vor der geplanten Hochzeit am 25. Juli 1895 schreibt Marie an eine Jugendfreundin:
Wenn du diesen Brief erhältst, wird deine Maria einen anderen Namen tragen. Ich werde den Mann heiraten, von dem ich dir im letzten Jahr in Warschau erzählt habe. Es ist mir sehr schmerzlich, für immer in Paris zu bleiben, aber was soll ich tun? Das Schicksal hat es gewollt, dass wir uns tief verbunden fühlen … Ein ganzes Jahr lang habe ich gezögert, … endlich habe ich mich mit dem Gedanken abgefunden, mich hier niederzulassen. Wenn du diesen Brief erhältst, schreibe mir: Madame Curie … so werde ich von nun an heißen.
Carsten Heinisch
geschrieben für „Zeitwort“ am 25. Juli 2013.
Bild von ca. 1902, Urheber unbekannt, Quelle: Wikipedia.