6. Oktober 1948: Präsentation des Citroën 2CV
Freies Campen für vier Sardinen
»Entwerfen Sie ein Auto, das Platz für zwei Bauern in Stiefeln und einen Zentner Kartoffeln oder ein Fässchen Wein bietet, mindestens 60 km/h schnell ist und dabei nur drei Liter Benzin auf 100 km verbraucht. … Es muss ausgesprochen gut gefedert sein, sodass ein Korb voll mit Eiern eine Fahrt über holprige Feldwege unbeschadet übersteht. Es muss wesentlich billiger sein als unser ›Traction Avant‹. Auf das Aussehen des Wagens kommt es dabei überhaupt nicht an.«
Das soll der Auftrag an André Lefèbvre gewesen sein, den Chefkonstrukteur des französischen Autoherstellers Citroën. 1934 war das, also etwa zur gleichen Zeit, als auf der anderen Seite des Rheins Ferdinand Porsche mit der Konstruktion eines Volkswagens beauftragt wurde.
Ende 1936 waren die ersten Prototypen des »TPV« fertig. Das Kürzel steht für »toute petite voiture«, »ganz kleines Auto«. Und sie sahen genauso aus wie gewollt – eher wie ein Regenschirm auf Rädern als wie ein richtiges Auto. Der TPV erfüllte die Mindeststandards, aber auch nicht mehr: ein einziger Scheinwerfer, die Sitze aus Stahlrohr mit Stoffbespannung, das Rolldach aus Segeltuch, kein Anlasser (Kommentar von Lefèbvre: »Das Auto ist für Bauern gedacht, und die sind alle verheiratet und haben eine Frau, die die Kurbel betätigen kann«).
Eine Serienfertigung wurde zwar vorbereitet, doch dazu kam es nicht mehr, denn das Werk wurde im Krieg für die Panzerproduktion benötigt. Während der deutschen Besetzung verheimlichte Citroën die Existenz des TPV, die Prototypen wurden verschrottet oder versteckt.
Erst nach 1945 nahm Citroën das Projekt wieder auf. Nach einer grundlegenden Überarbeitung wurde das Modell »Deux Chevaux», geschrieben »2CV«, am 6. Oktober 1948 erstmals präsentiert, am Vorabend der Eröffnung des Pariser Autosalons. Das »CV« in der Modellbezeichnung steht für cheval fiscal, eine Rechengröße der französischen Steuergesetzgebung. Richtig gefällig war das Auto zwar noch immer nicht, noch immer gab es nur einfachste, wenn auch funktionale Technik, und die satirische Zeitung Le canard enchaîné lästerte: »Eine Konservendose, Modell freies Campen für vier Sardinen«. Aber der Wagen traf den Nerv der Kundschaft. Er war erschwinglich, es gab Platz für vier Personen, ein kleiner Zweizylindermotor von 375 Kubikzentimeter mobilisierte 9 PS, und die Höchstgeschwindigkeit von 65 km/h war für die damaligen Straßen schnell genug.
1949 wurde die Produktion aufgenommen, aber da anfangs bevorzugt die verstaatlichten Renault-Werke mit Stahlblech beliefert wurden, gab es schnell Wartelisten über mehrere Jahre. Erst Mitte der 1950er Jahre normalisierten sich die Verhältnisse.
Wegen der günstigen Anschaffung und der geringen Unterhaltskosten verbreitete sich der 2CV auch hierzulande. Und er bekam schnell einen Kosenamen: »Ente«, wohl nach dem »hässlichen Entlein« aus dem Andersen-Märchen. Und spätestens Mitte der 1960er Jahre wurde in Studentenkreisen »Ente fahren« ein Statement für Nonkonformismus und Lebensgenuss, gegen Statussymbole und Konsumterror.
Obwohl die Ente schon seit über 20 Jahren nicht mehr produziert wird, gibt es (Stand Anfang 2011) allein in Deutschland noch fast 13.000 Exemplare. Eine Entenfahrerin aus Überzeugung ist Jutta Voigt aus Kaiserslautern. Was reizt sie an diesem Auto?
»Das ist einfach das schönste Cabrio, das es gibt. Ente. Einmal Ente – immer Ente.«
Carsten Heinisch
geschrieben für »Zeitwort« (SWR2) 2011
Foto Prototyp: Wikimedia-Nutzer Ton1 mit Änderungen von Rainer Zenz, Quelle: Wikimedia Commons.
Foto 2CV: Wikimedia-Nutzer Walter Vermeir, Quelle: Wikimedia Commons.
Beide Fotos sind veröffentlicht unter der Lizenz CC BY-SA 3.0