6. August 1890: Erste Hinrichtung auf einem elektrischen Stuhl
»Sie hätten besser eine Axt genommen«
Schon im ausgehenden 18. Jahrhundert wurde Naturforschern wie Galvani oder Volta bei ihren elektrischen Versuchen klar, dass sich mit einem elektrischen Schlag Mäuse, Katzen oder kleine Hunde leicht töten lassen. Auch Menschen waren bei solchen Versuchen schon zu Tode gekommen. Nach der Entwicklung von elektrischen Generatoren waren Wissenschafter und Politiker in den USA sich einig, dass die Elektrizität eine besonders menschliche Art der Hinrichtung ermöglichen würde, menschlicher jedenfalls als das Hängen; schließlich war man eine zivilisierte Nation. Außerdem verbietet die Verfassung der USA »grausame oder ungewöhnliche« Strafen.
Auch der Erfinder Thomas Alva Edison beschäftigte sich mit der sogenannten Elektrokution, also der Exekution durch elektrischen Strom. In seinem Labor baute ein Angestellter den ersten elektrischen Stuhl. Weil Edison sich aber im Gegensatz zur Konkurrenz nur mit Gleichstromgeräten befasste, ließ er aus geschäftlichen Gründen für diese spezielle Anwendung vor allem die Wirkung von Wechselstrom untersuchen. (Mit seiner Einschätzung hatte er sogar Recht: Wechselstrom ist tatsächlich viel gefährlicher als Gleichstrom.)
Schon 1888 hatte Edison in einem Schauexperiment zwei Kälber und ein Pferd durch Wechselstrom getötet. »Mit der richtigen Anzahl von Volt« sei es ein Leichtes, so Edison, auch einen Menschen rasch und schmerzlos zu töten. Das überzeugte den Gesetzgeber. Zum 1. Januar 1889 trat in dem US-Bundesstaat New York ein Gesetz in Kraft, wonach Hinrichtungen mit elektrischem Strom vorzunehmen seien.
Die zweifelhafte Ehre, als Erster auf einem elektrischen Stuhl zu sterben, fiel dem Mörder William Kemmler zu. Am 6. August 1890 wurde Kemmler auf dem elektrischen Stuhl festgeschnallt. Die beiden Elektroden wurden an einer kahlgeschorenen Stelle auf dem Kopf und an der Wirbelsäule befestigt; diese Anordnung der Elektroden hatte sich bei den Tierversuchen als vorteilhaft herausgestellt. Doch nun tauchte eine letzte Schwierigkeit auf: Wie lange sollte man den Strom fließen lassen? Und was ist »die richtige Anzahl von Volt«? Nun, man ließ es auf einen Versuch ankommen.
Eine grauenhafte Stümperei begann. Der Generator wurde angeworfen, der Schalter umgelegt. 1000 Volt lagen an. Kemmlers festgeschnallter Körper verkrampfte sich und wand sich unter Schmerzen. Nach 17 Sekunden gab der anwesende Arzt ein Zeichen, der Strom wurde abgeschaltet. Doch dann begann Kemmler zu stöhnen – er war offenbar noch am Leben. Panik bei allen Beteiligten. Schnell wollte man den Strom wieder anschalten, nun mit 2000 Volt. Doch der Generator war bereits ausgeschaltet worden, erst nach über zwei Minuten kam wieder Strom. Diesmal ließ man ihn deutlich länger als 17 Sekunden fließen. Die feuchten Schwammelektroden trockneten aus, es roch nach verbranntem Fleisch. Ein Zeuge übergab sich, ein anderer fiel in Ohnmacht. Die New York Times titelte: »Viel schlimmer als Hängen«. Einer der anwesenden Zeugen wird mit den Worten zitiert: »Sie hätten besser eine Axt genommen.«
Es dauerte noch einige Jahre, bis der elektrische Stuhl stets einwandfrei funktionierte. Bei einem besonders makabren Fall 1903 zum Beispiel war der Delinquent von dem anwesenden Arzt schon für tot erklärt worden, fing aber auf dem Weg zur Autopsie wieder an zu atmen. Der Henker war bereits nach Hause gegangen, man rief ihn zurück, um den Delinquenten ein zweites Mal zu elektrokutieren. Kurz vor seiner Rückkehr war der Verurteilte dann aber doch gestorben. Macht nichts, der Tote wurde auf den Stuhl gesetzt und der Stromkreis geschlossen – dies war das erste und wohl auch einzige Mal, dass eine Leiche hingerichtet wurde.
Jahrzehntelang war der elektrische Stuhl in vielen Bundesstaten der USA das Exekutionsmittel der Wahl. Dann kamen aber doch Zweifel, ob die Elektrokution wirklich so schmerzfrei und human ist wie behauptet. In neuerer Zeit verwendet man daher lieber eine tödliche Injektion, außer im Bundesstaat Nebraska, wo der Stuhl verbindlich vorgeschrieben ist. Allerdings erklärte Anfang 2008 das Oberste Gericht von Nebraska den Stuhl als »grausame und ungewöhnliche Strafe« doch für verfassungswidrig.
Carsten Heinisch
geschrieben für »Zeitwort« (SWR2) 2009, allerdings kurzfristig aus dem Programm genommen und nicht gesendet
Bild gemeinfrei, Quelle: Wikimedia Commons