2. August 1939: Albert Einstein schreibt einen Brief

Der Pazifist und die Bombe

Albert Einsteins Brief an Königin Elisabeth von Belgien
Den Sommer 1939 verbrachte Albert Einstein in einem Ferienhaus auf Long Island, nicht weit von New York. Mitte Juli erhielt er dort Besuch von zwei alten Bekannten; es waren die beiden ungarischen Physiker Leo Szilard und Eugene Wigner, die wie Einstein vor dem Faschismus nach den USA emigriert waren.

Ihr Anliegen war weniger ein physikalisches, es ging eher um eine politische Frage: Seit im November 1938 die Deutschen Otto Hahn und Fritz Strassmann die Kernspaltung am Uran entdeckt hatten, war den wichtigsten Physikern in aller Welt klar geworden, dass sich mit dieser Entdeckung die Möglichkeit einer gewaltigen, alle Vorstellungskraft übersteigenden Energiequelle eröffnete.

Infolgedessen war das Metall Uran zu einem hochbrisanten Stoff geworden. Uranerze wurden damals im Wesentlichen an zwei Stellen in der Welt abgebaut: Im böhmischen Teil des Erzgebirges – diese Minen waren seit der Besetzung der Tschechoslowakei in der Verfügungsgewalt der Nazis. Die ergiebigsten Uranvorkommen aber gab es in Belgisch-Kongo, und die größten Bestände an metallischem Uran waren im Besitz eines belgischen Konzerns. Szilard und Wigner wollten Einsteins moralische Autorität und seine Freundschaft zur Königin Elisabeth von Belgien nützen, um ihr in einem Brief nahe zu legen, den Verkauf dieses Urans an Nazideutschland zu unterbinden.

Einstein erklärte sich sofort bereit, einen solchen Brief zu schreiben; er wollte ihn jedoch nicht an die Königin richten, sondern – über das amerikanische Außenministerium – an die belgische Regierung leiten. Er setzte einen Entwurf auf und gab ihn Szilard und Wigner mit. Zuhause wurde Szilard aber über das weitere Vorgehen unsicher und sprach mit einem anderen Emigranten über diese Initiative. Der verwies an Alexander Sachs, einen Bankier, der zum inoffiziellen Beraterkreis von Präsident Roosevelt gehörte. Sachs begrüßte das Vorhaben und sagte zu, einen entsprechenden Brief gegebenenfalls dem amerikanischen Präsidenten vorzulegen. Als Szilard ein Albert-Einstein-Brief-2paar Tage später wieder mit Einstein zusammentraf, war so aus dem Brief an die »liebe Königin« ein Schreiben an den US-Präsidenten geworden.
Bei diesem Treffen diktierte Einstein einen neuen Entwurf, den Szilard ins Englische übersetzte. Da nicht abzusehen war, wie viel Zeit der Präsident dem Vorgang würde widmen können, erstellte er eine Kurz- und eine Langfassung. Am 2. August 1939 erhielt Einstein die beiden Entwürfe und schickte sie unterschrieben an Szilard zurück.

Was hatte Einstein nun in diesem Brief geschrieben? Eine der Kernpassagen der später übergebenen Langfassung lautet:

»Das neue Phänomen würde auch zum Bau von Bomben führen, und es ist vorstellbar – obwohl weit weniger gewiss – dass auf diesem Wege extrem starke Bomben eines neuen Typs konstruiert werden können. Eine einzige Bombe dieser Art, auf einem Schiff befördert und in einem Hafen explodiert, könnte sehr wohl den ganzen Hafen zusammen mit Teilen des umliegenden Gebiets zerstören.«

Es war schon Oktober, als Sachs dem Präsidenten den Brief endlich vorlegen konnte; mittlerweile hatte in Europa der Krieg begonnen. Roosevelt verstand sofort, worauf es ankam: »Alex, Sie wollen verhindern, dass die Nazis uns in die Luft sprengen,« und gab seinem Bürochef die Anweisung: »Das erfordert, dass wir tätig werden.« Große Tätigkeit entfaltete sich daraufhin aber nicht.

Dennoch gilt der Brief Einsteins Vielen als Beleg dafür, dass er, doch eigentlich Pazifist, für den Bau der Atombombe verantwortlich sei. Einstein hat sich über die Motive für seinen Brief ausgeschwiegen, es muss ihm aber beim Abfassen des Briefes klar gewesen sein, dass eine deutsche Aggression und damit ein neuerlicher Krieg unmittelbar bevorstand. Nachdem Einstein den Ersten Weltkrieg in Berlin erlebt und gesehen hatte, mit welcher Begeisterung sich seine Wissenschaftlerkollegen in den Dienst der militärischen Forschung gestellt hatten, dürfte ihn die Vorstellung einer Atombombe in Hand der Nazis gegraust haben. Daher wird sein Impuls verständlich, auf die mögliche Gefahr einer deutschen Uranbombe hinzuweisen.

Dass Einstein aber für die Bombe verantwortlich sei, das hieße seine Rolle doch erheblich zu überschätzen: Die Mitarbeit an einem ersten Ausschuss lehnte er im Frühjahr 1940 nämlich ab. Und als die USA 1941 ihr sogenanntes Manhattan-Projekt starteten, ein gigantisches Geheimprojekt zur Entwicklung der amerikanischen Atombombe, da wurde Einstein gar nicht erst gefragt: FBI und der Geheimdienst der Armee hielten Einstein »seines radikalen Hintergrundes« wegen nämlich für ein Sicherheitsrisiko und wollten ihn deshalb nicht in die Einzelheiten des Projekts einweihen.

Carsten Heinisch
geschrieben für »Zeitwort« (SWR2) 2003, aktualisiert Dezember 2009

Bild: Scan des Briefs, dessen beide Seiten (Seite 1, Seite 2) vom Franklin D. Roosevelt Library and Museum online gestellt sind.
Als Veröffentlichung einer Regierungsstelle sind diese Dokumente gemeinfrei.