2. Juli 1753: Die Trockenlegung des Oderbruchs beginnt
Neue Provinz ohne Krieg
»Am Westufer der Oder, nach rechts hin vom Flusse selber begrenzt, nach links hin von den Abhängen des Barnim-Plateaus wie von einem gebogenen Arm umfaßt, liegt das Oderbruch. Es ist eine sieben Meilen lange und etwa zwei Meilen breite Niederung.«
So beginnt Theodor Fontane in seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg die Beschreibung des Oderlands, nördlich von Frankfurt. Da die preußische Meile siebeneinhalb Kilometer misst, handelt es sich beim Oderbruch also um einen Landstrich von rund 50 mal 15 Kilometern. »Das Bruch ist ein Bauernland«, schreibt Fontane im nächsten Absatz, und ländlich ist es bis heute geblieben.
Vor seiner Urbarmachung war das Oderbruch eine Art Auen-Urwald, der ähnlich wie der Spreewald von einer Unzahl größerer und kleinerer Flussarme durchschnitten wurde. Zweimal im Jahr wurde das Bruch durch die Oder mannshoch überschwemmt. Zur Besiedlung war es damit nicht geeignet und auch kaum landwirtschaftlich nutzbar. Nur der Reichtum an Fischen, Krebsen und anderem Wassergetier war legendär.
Schon in der Zeit des »Großen Kurfürsten« ging man im 17. Jahrhundert daran, das Bruch trockenzulegen. Doch erst sein Urenkel Friedrich II. von Preußen, der Große, brachte Schwung in die Arbeiten. Unter Leitung des niederländischen Wasserbauingenieurs und Oberdeichinspektors Simon Leonhard von Haerlem wurde das Gebiet ab 1746 gegen die Oder eingedeicht, und am Ostrand der Niederung errichtete man einen Kanal, der den mäandernden Lauf der Oder um rund 25 Kilometer verkürzte. Am 2. Juli 1753 wurde der Fangdamm bei Güstebiese durchstochen und damit der neue Flusslauf der Oder geflutet. Die nunmehr abgehängte Alte Oder wird bis heute nur durch ein System von Abzugsgräben gespeist, die für die Trockenlegung des Gebiets sorgen. Von Haerlems Deiche blieben übrigens bis in unsere Zeit fast unverändert. Erst nach dem Jahrhunderthochwasser 1997, das dem damaligen brandenburgischen Umweltminister Platzeck den Beinamen »Deichgraf« einbrachte und bei dem das Bruch nur knapp an einer Katastrophe vorbeikam, wurden die in ihren Grundzügen 250 Jahre alten Deiche grundlegend saniert und erneuert.
Noch im Jahr des Durchstichs 1753 begann die Rodung und die planmäßige Besiedlung des trockengelegten Lands. Viele der damals angelegten Siedlungen tragen das Neu in ihrem Namen; das erste dieser Dörfer war Neulietzegöricke, das heute als Ortsteil von Neulewin unter Denkmalschutz steht; andere Dörfer heißen Neuranft, Neurüdnitz, Neureetz oder, besonders apart, Neuküstrinchen. Die Siedler wurden gezielt von außerhalb Preußens mit Vergünstigungen angeworben: Jede Familie erhielt Land, je nach Familiengröße zwischen 10 und 90 Morgen; die Religionsausübung war frei, Prediger und Kirchen bezahlte der König; in jedem Dorf gab es eine kostenlose Schule; alle Neusiedler erhielten 15 Jahre Steuerfreiheit, sie und ihre Kinder wurden vom Militärdienst befreit. 1300 Familien ließen sich anwerben. Sie kamen aus der Pfalz, aus Sachsen und Württemberg, aus Hessen-Darmstadt oder Mecklenburg, aber auch aus Polen, Böhmen, Österreich und sogar dem Schweizer Kanton Neuenburg.
Für die Kolonisten hat sich das Unterfangen wohl gelohnt. »Der Boden im Bruch war ein schönes, fettes Erdreich … Man streute aus und war der Ernte gewiß. Es wuchs ihnen zu. Alles wurde reich über Nacht.« Allerdings hätten, so bemängelt Fontane, »Bildung und Gesittung nicht Schritt gehalten mit dem rasch wachsenden Vermögen.« Doch auch der König war zufrieden: Er hatte neue Untertanen gewonnen, und das Oderbruch war rasch zu einer Kornkammer geworden. Seinen Beratern, die die hohen Kosten der Urbarmachung und der Privilegien für die Neusiedler bemängelten, setzte er entgegen: »Ich habe eine neue Provinz gewonnen ohne Krieg.«
Carsten Heinisch
geschrieben für »Zeitwort« (SWR2) 2011
Eigene Fotos