7. Oktober 1900: Max Planck stellt seine Strahlungsformel auf

Revolutionär wider Willen

Max Planck Strahlungsformel

Auch wenn er auf diesem Foto von 1901 aussieht wie ein »junger Wilder« der Physik – eigentlich war Max Planck zutiefst konservativ.

Am Ende des 19. Jahrhunderts galt die Physik als abgeschlossene Wissenschaft. Alle wichtigen Phänomene waren mathematisch zu beschreiben, es konnte nur noch darum gehen, einzelne Lücken zu schließen. Zwar gab es noch einige experimentelle Befunde, die sich nicht deuten ließen, beispielsweise die gerade entdeckte Radioaktivität, aber es konnte nur eine Frage der Zeit sein, auch sie in diesen wohl geordneten Rahmen einzupassen.

Eines der Phänomene, die sich am hartnäckigsten allen Erklärungsversuchen der Theoretiker widersetzten, war das Problem der Lichtabstrahlung eines glühenden Körpers: Bei Temperaturen ab etwa 800 °C beginnen sämtliche Körper – egal von welcher Beschaffenheit – rötlich zu glühen. Bei noch höheren Temperaturen verändert sich die Farbe zu tiefrot und schließlich zu weiß-violett.

Wie lässt sich dieser Farbwechsel beschreiben – oder genauer: das Spektrum der von dem Körper ausgehenden Strahlung im Sichtbaren und im Unsichtbaren? Offensichtlich hat die Farbe, also die Wellenlänge der Strahlung, mit der Temperatur des Körpers zu tun. Die Temperatur aber hängt mit der Energie zusammen, die den Körper aufheizt. Aber vielleicht gab es ja noch andere Faktoren? Nach einigen theoretischen Klimmzügen wurde deutlich, dass hier ein universelles Gesetz am Werk sein musste, denn die Strahlung hing wirklich nur von der Energie und nicht von der Beschaffenheit des Körpers ab. Aber die genauere Untersuchung dieses sogenannten »Schwarzen Körpers« führte zu einem unmöglichen Zustand: Man fand nämlich zwei Formeln, die sich gegenseitig ausschlossen: Die eine Formel brachte nur bei niedrigen Temperaturen richtige Vorhersagen, die andere galt nur bei hohen Temperaturen. Und es gab keine Verbindung zwischen beiden Erklärungen.

Auch der Berliner Physikprofessor Max Planck hatte sich mit der Schwarzkörperstrahlung beschäftigt. Als eine der zu seiner Zeit häufigen Doppelbegabungen sowohl in der Experimental- als auch in der theoretischen Physik kannte er alle Einzelheiten dieses Problems. Max Planck arbeitete gründlich und in aller Muße. Erst drei Jahre nach Beginn seiner Arbeiten, am 7. Oktober 1900, war er am Ziel. An diesem Tag, es war ein Sonntag, hatte er seinen Kollegen Heinrich Rubens und dessen Gattin zu Gast. Es ist nicht genau bekannt, wie der Tag verlief, man weiß nur, dass Rubens einige neue Messergebnisse zur Schwarzkörperstrahlung hatte, die Planck sicherlich interessierten, und wahrscheinlich haben die Herren wieder das Fachsimpeln begonnen.

Nachdem das Ehepaar Rubens gegangen war, setzte sich Planck noch einmal an den Schreibtisch und arbeitete. Und das vorher Unmögliche gelang ihm – er fand mit einem neuen Ansatz eine Interpolation zwischen den beiden Formeln. Am Abend noch schrieb er eine Postkarte an Rubens, er habe eine mögliche Lösung gefunden. Einige Wochen später trug er seine Formel öffentlich vor.

Plancks Trick: Er ging davon aus – ohne weitere theoretische Begründung –, ein Schwarzer Körper könne die Energie nicht in beliebigen Beträgen aufnehmen und abstrahlen, sondern nur in ganz bestimmten Portionen, den Energiequanten. Um diese Quanten zu beschreiben, führte Planck eine neue Größe in die Physik ein, das sog. »Wirkungsquantum«, das heute nach ihm benannt ist.

Allerdings schrieb Planck selbst seinen Quanten keine Realität zu, dazu war die ganze Vorstellung von einer Energie, die nur bestimmte Werte annehmen kann, einfach zu absurd, ja beängstigend. Schließlich war es doch das Wesen der Physik, dass alle physikalischen Größen beliebige Werte annehmen konnten. Planck betrachtete daher die Quanten einfach als ein bequemes Hilfsmittel für die Berechnungen und verwendete in den folgenden Jahren viel Arbeit darauf, das Wirkungsquantum und seine Strahlungsformel in die damaligen physikalischen Theorien einzubauen, vergeblich. Erst viel später wurde ihm klar, wie er in seiner »Wissenschaftlichen Selbstbiographie« schreibt, »daß das Wirkungsquantum in der Atomphysik eine fundamentale Rolle spielt und daß mit seinem Auftreten eine neue Epoche in der physikalischen Wissenschaft anhebt. Denn in ihm kündigt sich etwas Unerhörtes an, das berufen ist, unser physikalisches Denken … von Grund auf umzugestalten.«

Und so war es auch: Die wohlgeordnete Physik, die wir heute die »klassische Physik« nennen, war am Ende. Planck, ein Revolutionär wider Willen, hatte ihr am 7. Oktober 1900 den Todesstoß versetzt. Es blieb jüngeren Physikern vorbehalten, allen voran Albert Einstein und Niels Bohr, die Vorstellung der Energiequanten weiter auszubauen und in der Physik zu etablieren, teils gegen den Widerstand von Planck. Heute ist die Realität der Quanten unumstritten, und die Quantenmechanik gilt als erfolgreichste physikalische Theorie überhaupt.

Carsten Heinisch
geschrieben für »Zeitwort« (SWR2) 1999, aktualisiert November 2009

Bild gemeinfrei, Quelle: Wikimedia Commons

Dies war der erste Text überhaupt, den ich für das Radio geschrieben habe. Es sollten noch viele weitere nachfolgen