11. September 1961: Der Autohersteller Borgward ist pleite
Ein vermeidbarer Konkurs
Noch heute, Jahrzehnte nach dem Untergang der Firma, genießt der Name »Borgward« in Kreisen von Automobil-Liebhabern einen guten Ruf. Neben den Automodellen, allen voran der »Isabella«, hat aber auch der Konkurs der Firma am 11. September 1961 zum Mythos dieser Marke beigetragen, denn später stellte sich heraus, dass die Voraussetzung für den Konkurs – die Überschuldung – gar nicht vorgelegen hatte. Wie kam es dennoch zur Pleite?
Carl Friedrich Wilhelm Borgward war ein begnadeter Konstrukteur. Schon in den 1920er und 1930er Jahren hatte er Personenwagen und Nutzfahrzeuge gebaut und seine Firma zu einem bedeutenden deutschen Autohersteller erweitert. Wegen der Verstrickung in die Nazi-Herrschaft – er war »Wehrwirtschaftsführer« – wurde Borgward nach Kriegsende interniert. Erst 1948 kehrte er nach Bremen zurück und nahm die Produktion in seinem Automobilwerk wieder auf. Anfangs florierte das Geschäft in allen drei Sparten: Der Mittelklassewagen »Borgward Hansa« war die erste Autoneukonstruktion nach dem Krieg; zwei Nummern kleiner leistete der »Lloyd Alexander«, der legendäre »Leukoplastbomber«, seinen Beitrag zur Motorisierung; und die Goliath-Dreiradkarren und Laster waren in den ersten Jahren der Bundesrepublik eine willkommene Alternative zum Pferdefuhrwerk. 1954 folgte Borgwards Geniestreich, der sportlich motorisierte Mittelklassewagen »Isabella«, der noch heute als eines der schönsten deutschen Autos aller Zeiten gilt. Carl Borgward wurde mit dem Titel »Konsul« und dem Bundesverdienstkreuz geehrt.
Aber in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre wandelte sich der Markt. Mit wachsendem Wohlstand verlangten die Käufer andere, größere Autos – der Absatz bei Goliath und Lloyd brach ein. Eine rasche Reaktion war geboten, aber dafür erwies sich die Konstruktion der patriarchalisch geführten Borgward-Gruppe als zu schwerfällig. In zu viele Projekte gleichzeitig verzettelt, dauerte es zu lange, bis ein neues Modell marktreif war.
1960 kam es dann zur Krise: Die neue Lloyd »Arabella« verkaufte sich anfangs zwar gut; wegen eines Konstruktionsfehlers waren aber teure Rückrufe nötig, die nicht nur den Ruf, sondern auch die Kalkulation des Wagens zunichte machten. Vor allem aber stagnierte der wichtige Export der »Isabella« nach Übersee. Tausende von Wagen wurden auf Halde produziert, bis die ohnehin dünne Eigenkapitaldecke aufgebraucht war und Borgward überfällige Lieferantenkredite nicht zurückzahlen konnte. Anfang 1961 stand es dann in den Zeitungen: Die Borgward-Gruppe steckte tief in finanziellen Schwierigkeiten.
Wegen der großen Bedeutung für den Bremer Arbeitsmarkt – Borgward beschäftigte mit 19.000 Menschen knapp ein Viertel der Bremer Industriearbeiterschaft – gründete der Senat eine Auffanggesellschaft; Konsul Borgward musste alle seine Vermögensanteile entschädigungslos übertragen und sich aus der Geschäftsführung zurückziehen. Der neue Chef hatte sich kurz zuvor zwar durch die Sanierung der angeschlagenen Bayerischen Motorenwerke empfohlen, aber seine Bemühungen bei Borgward schlugen fehl. Es gelang nur zum Teil, die verzettelte Produktpalette zu straffen. Im Aufsichtsrat war keine Einigung über den Umfang der Entlassungen zu erzielen; selbst Kurzarbeit war nicht durchzusetzen. Und Verhandlungen mit mehreren Interessenten, die verschiedenen Werke als Ganzes oder die gesamte Gruppe zu übernehmen, scheiterten.
Als das Land Bremen weitere Kapitalzuschüsse verweigerte, war das Schicksal der Borgward-Gruppe besiegelt. Ende Juli 1961 wurde das Vergleichsverfahren, am 11. September dann der Konkurs eröffnet. Die Anlagen wurden weltweit verkauft, die Isabella-Produktion beispielsweise nach Mexiko. Die Arbeiter wurden mit zwei bis drei Wochenlöhnen abgefunden. Nach Abwicklung des Konkurses waren alle Gläubiger befriedigt, es blieb sogar ein kleiner Gesamtüberschuss.
Aus heutiger Sicht muss man den Konkurs vermeidbar nennen. Schon die Voraussetzung stimmte nicht – die scheinbare Überschuldung kam vor allem durch die falsche Bewertung des Anlagevermögens zustande. Und nach Eröffnung des Konkursverfahrens wurde fast alles falsch gemacht: keine Konzentration auf die Kernbereiche, kontraproduktive öffentliche Äußerungen aller Beteiligten, Besetzung des Aufsichtsrats der Auffanggesellschaft mit Politikern statt mit Fachleuten aus der Wirtschaft und und und. Aber in der Rückschau ist es leicht, die sich schon lange ankündigende Schieflage des Unternehmens zu konstatieren und theoretische Szenarien zur Rettung der Borgward-Gruppe durchzuspielen. Damals ist es anders gelaufen, und so wurde der Name Borgward zum Mythos bei den Oldtimersalons. Der heutige Autohersteller Borgward, der seit 2017 SUVs anbietet, versucht diesen Mythos auszunützen, hat aber mit der damaligen Firma nichts mehr zu tun.
Carsten Heinisch
geschrieben für »Zeitwort« (SWR2) 2001, ergänzt 2017
Das Foto stammt von dem Wikipedia-Nutzer ChiemseeMan und wurde gemeinfrei veröffentlicht.
Quelle: Wikimedia Commons
Dieser Beitrag wurde am Morgen jenes Tages ausgestrahlt, an dem Selbstmordattentäter zwei Verkehrsflugzeuge in das World Trade Center in New York lenkten, ein Flugzeug auf das Pentagon abstürzen ließen und ein weiteres Flugzeug in Pennsylvania zum Absturz brachten. Bei den Attentaten kamen ca. 3000 Menschen zu Tode.