5. August 1955: Der einmillionste VW Käfer wird gebaut
Und läuft und läuft und läuft
Auch wer sich mit Autos gar nicht auskennt, erkennt das Motorengeräusch sofort: Der Klang wie eine klappernde Mülltonne ist Millionen von Fahrern und Beifahrern vertraut, und wahrscheinlich gibt es in der Generation der vor 1960 Geborenen niemanden, der noch nie mit einem Käfer gefahren ist.
Aber der Käfer ist mehr als ein Auto, er ist auch ein Symbol des westdeutschen Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg. Schweigen wir hier über die Nazivergangenheit des Wagens – immerhin geht seine Konstruktion auf ein Geheiß Hitlers zurück; schweigen wir von seiner militärischen Vergangenheit als sogenannter Kübelwagen in der Wehrmacht.
Reden wir lieber davon, dass im August 1945 in Wolfsburg mit den alten, über den Krieg geretteten Blechpressen die Produktion beginnen konnte und dass die Alliierten diese Wagen als Reparationszahlung anerkannten. Dadurch war der Bestand des Werks vorerst gesichert, auch wenn eine Restunsicherheit blieb, denn bis Anfang 1948 versuchte die britische Besatzungsmacht immer wieder, das Werk zu verkaufen.
Erst mit dem Marshallplan hatte das Bangen ein Ende. Und nun begannen sie tatsächlich, das westdeutsche Wirtschaftswunder und die Erfolgsgeschichte des VW Käfers. Der Werksleiter Heinrich Nordhoff glaubte fest an den Erfolg des merkwürdigen Gefährts, das nach Aussage britischer Offiziere »mehr Fehler hat als ein Hund Flöhe.« Sein Erfolgsrezept: Ständige technische und optische Verbesserungen. Und sein Rezept schlug an: Noch 1948 lief der 20.000ste Wagen vom »Typ 1« vom Band, 100.000 Exemplare waren im März 1950 fertig. Kurz darauf wird der Wagen auch in die USA exportiert und hat dort schnell seinen Spitznamen weg: Beetle, zu Deutsch Käfer. Die Stückzahlen schnellen nach oben: Am 5. August 1955 erreicht der Käfer die stolze Produktionszahl von 1 Million gebauten Exemplaren. Dieses Jubiläum wird in großem Stil gefeiert, und Nordhoff erhält das große Bundesverdienstkreuz mit Stern. Gleichzeitig erreichen die Käferpreise ihren Tiefststand: knapp 3.800 DM für das Standard- und 4.600 DM für das besser ausgestatte Exportmodell. Bis Ende der 1950er Jahre waren nur ausgesprochene Kleinwagen billiger als der Käfer, und in seiner Preisklasse gab es nichts Vergleichbares.
Und so geht es die nächsten Jahrzehnte weiter: Der Käfer wird technisch und optisch verbessert – und läuft und läuft und läuft. 1972 stellt er mit über 15 Millionen sogar den Produktionsrekord des legendären Ford T-Modells ein und bleibt bis 1974 das meistverkaufte Auto in Deutschland. Aber das alles konnte nicht darüber hinweg täuschen, dass die Zeit des Käfers dem Ende zuging: Trotz aller Verbesserungen war der in seiner Konzeption 40 Jahre alte Wagen nicht mehr konkurrenzfähig. Gerade noch rechtzeitig schaffte es der VW-Konzern, die einseitige Fixierung auf den Käfer zu beenden, und schrammte um Haaresbreite am Konkurs vorbei. Zum neuen Standbein des Konzern wurde der Golf.
Der VW-Käfer wurde übrigens im mexikanischen Werk Puebla noch bis zum Jahr 2003 gebaut; allerdings ließ sich das technisch anspruchslose und robuste Gefährt praktisch nur noch in Drittweltländern verkaufen. Direkt nebenan im selben Werk entstand die postmoderne Interpretation desselben Themas für die Erste Welt: Dort wurde ab 1997 der New Beetle produziert, der vor allem auf dem US-Markt Furore machte; bei uns hat dieser Golf im Retrodesign allerdings kaum den Kultstatus des »echten« Käfers erreicht. 2010 wurde die Produktion eingestellt; seit 2011 gibt es dessen Nachfolger VW Beetle.
Carsten Heinisch
geschrieben für »Rück-Blicke« (Deutsche Welle) 2001, aktualisiert Dezember 2009, ergänzt August 2016
Das Foto stammt von dem Wikipedia-Nutzer Mewtu und wurde gemeinfrei veröffentlicht
Quelle: Wikimedia Commons