10. April 1849: Patent auf die Sicherheitsnadel
Außer Spesen nichts gewesen für Walter Hunt
Ach, das Los der Erfinder ist nicht leicht. Da verschütten sie ihr Herzeblut an die vielen Kleinigkeiten, die das Leben erleichtern, und die undankbare Nachwelt flicht ihnen keine Kränze. Wer kennt denn heute noch Walter Hunt, den Erfinder der Nähmaschine, des Kolbenfüllers oder der Sicherheitsnadel? Wohl niemand, es sei denn, ein Beitrag wie dieser würde Erfinder wie ihn dem Dunkel der Geschichte entreißen.
Natürlich gibt es auch sehr berühmte Erfinder, aber sie sind die Ausnahme. Thomas Alva Edison zum Beispiel gilt noch heute als der Erfinder schlechthin – aber ein Großteil seiner Erfindungen spielt überhaupt keine Rolle mehr. Oder haben Sie schon einmal einen Walzenphonographen gesehen (195 Edison-Patente) oder mit einem Telegrafieapparat gearbeitet, auf den Edison 150 Patente hielt?
Offenbar gibt die Bekanntheit eines Erfinders keinerlei Anhaltspunkt über die Bedeutung seiner Erfindungen, wie auch umgekehrt die Zahl der Erfindungen oder auch deren Nützlichkeit dem Erfinder überhaupt keine Garantie für irgendwas bietet, weder für ein angenehmes Leben in Wohlstand noch für einen andauernden Nachruhm.
Nach diesen Einführungen will ich Sie mit dem ganz und gar unbekannten, aber sehr produktiven Erfinder Walter Hunt bekannt machen. Er ist so unbekannt, dass selbst die allwissende »Wikipedia« nur wenige Zeilen über ihn schreibt und noch nicht einmal sein Geburtsjahr ganz sicher ist: In einigen Quellen lässt sich die Angabe 1792 finden (mit einem Fragezeichen versehen), wahrscheinlich aber wurde Hunt 1796 geboren. Er lebte in New York und starb 1859. Auf dem Greenwood Cemetry in Brooklyn liegt er begraben.
Hunt war ein außergewöhnlich fruchtbarer Tüftler, der insgesamt mehrere hundert Erfindungen gemacht hat. Einige wurden eingangs schon genannt: eine Nähmaschine oder den Kolbenfüller. Aber er hat noch viel mehr erfunden, beispielsweise einen Messerschärfer, der noch heute hergestellt wird und weithin in Gebrauch ist; eine Maschine zum Spinnen von Flachs; einen Gong zur Feuerwarnung; einen mit Dampf beheizten Wärmetisch für Restaurants; einen Ofen für Steinkohle; ein Tintenfass, mit dem man sich die Finger beim Nachfüllen des Federhalters nicht so leicht verschmutzt; einen Schuhabsatz, der sich nicht so schnell schief läuft; eine Nagelmaschine, ein Repetiergewehr und einen Apparat zum Straßenkehren; und schließlich – eine Kuriosität für den Zirkus – eine Gerätschaft, mit der man an der Decke laufen kann.
Keine dieser Erfindungen hat aber die Popularität eines ganz einfachen Teils erreicht, das er Miracle fastener nannte, zu Deutsch »Wunderverschluss«, und das Hunt am 10. April 1849 patentieren ließ.
An den Umständen dieser Erfindung zeigt sich die ganze Tragik des ideenreichen, aber letztlich doch erfolglosen Erfinders: Hunt war wieder einmal in Geldnöten und hatte sich von einem Freund 15 Dollar geborgt. Dieser Freund benötigte sein Geld aber plötzlich umgehend zurück, sodass Hunt sich entschloss, ganz rasch etwas zu erfinden, um es zu Geld zu machen. Innerhalb von drei Stunden, so heißt es, habe er seine Idee entworfen, zu Papier gebracht und aus einem Stück Draht das erste Muster hergestellt: in der Mitte aufgewickelt, die eine Seite angespitzt, eine Art Futteral auf der anderen Seite, in das die Spitze gesteckt wird. Fertig ist die Sicherheitsnadel.
Natürlich war Hunt nicht der Erste, der sich Gedanken zu dem Problem gemacht hatte, wie lose Gewänder oder herumflatternde Stoffzipfel zu befestigen sind. Schon aus dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert sind Fibeln bekannt, bei denen der spitze Teil in der Mitte zu einer Spirale gebogen war. Diese Fibeln kamen der Hunt’schen Sicherheitsnadel schon recht nah. Dennoch haben sie sich damals wohl nicht so recht durchgesetzt, denn jahrhundertelang blieben die wichtigsten Instrumente zur Befestigung von Kleidungsstücken einfache, gerade Nadeln. Das änderte sich erst im Mittelalter, als der Knopf und – ganz wichtig – auch das dazu passende Knopfloch erfunden wurde. Dennoch scheint es auch weiterhin das Bedürfnis gegeben zu haben, einen losen Zipfel an der Kleidung festzustecken, wenn auch die gewöhnlichen Nadeln in der Handhabung etwas kritisch waren. Eine »Entschärfung« des Problems hatte schon einige Jahre vor Hunts Erfindung der Amerikaner Thomas Woodward vorgestellt: eine Nadel mit geschützter Spitze. Dieses Modell hielt jedoch nur in dickem oder sehr schwerem Stoff. So blieb es Walter Hunt vorbehalten, nach drei sehr produktiven Stunden die Befestigungstechnik zu revolutionieren.
Das Ende der Geschichte ist ein fast schon typisches: Kaum dass Hunt das Patent erteilt bekommen hatte, verkaufte er seine Rechte für gerade 400 Dollar (nach heutigem Wert etwa 10.000 Dollar). Damit zahlte er die Schulden bei seinem Freund zurück und konnte noch 385 Dollar sparen. Im Nachhinein war das aber keine besonders gute Idee, denn die Sicherheitsnadel entwickelte sich zu einem ausgesprochenen Verkaufshit, der dem Rechteinhaber fast eine Million einbrachte.
Immerhin: Ein, wenn auch ganz kleiner Nachruhm ist ihm geblieben. 1970 hat der deutsche Komponist Ferdinand Bruckmann die kleine Nonsens-Kantate Absurditäten für Chor, Flöte, Kontrabass und Klavier geschrieben und ausdrücklich dem Andenken an den Erfinder der Sicherheitsnadel gewidmet.
Carsten Heinisch
geschrieben für »Zeitwort« (SWR2) 2001, aktualisiert November 2009
Bilder gemeinfrei, Quelle: Wikimedia Commons (Hunt) bzw. Wikimedia Commons (Patent)