4. Februar 1980: Entdeckung des Quanten-Hall-Effekts

Eine Revolution in der Messtechnik

Entdeckung des Quanten-Hall-Effekts, Grafik von Antikon-

Trägt man den Hall-Widerstand der Probe in Abhängigkeit vom angelegten Magnetfeld auf, so findet man Plateauwerte, die nur von Naturkonstanten abhängen (oberes Teilbild). Beim Sprung von einem Plateau zum anderen wird in einer dazu senkrechten Stromrichtung jeweils ein Maximum gemessen (unteres Teilbild).

Die Physik ist eine messende Wissenschaft. Nur was messbar ist, existiert auch. Grundlage für jede Messung sind aber vernünftige Einheiten, also Einheiten, die sich sehr genau bestimmen lassen. Natürlich ist diese Genauigkeit vom Zweck abhängig: Wer einen Meter Stoff kauft, um daraus eine Tischdecke zu nähen, kann mit einer einfachen Elle auf 1 cm genau messen. Wer etwa einen Motor konstruiert, braucht eine Schieblehre, mit der er auf hundertstel Millimeter genau messen kann; die Genauigkeit ist dann 1 zu 10.000. Besonders hohe Anforderungen stellen die Präzisionsmessungen in der Physik: Hier ist eine Genauigkeit von 1 zu 100 Millionen erforderlich, nach Möglichkeit noch mehr. Übertragen auf eine Längenmessung ist das eine Messgenauigkeit von einem hundertstel Millimeter pro Kilometer!

Eine solche Genauigkeit ist gar nicht so einfach zu erreichen. Man muss einen Apparat konstruieren, der beispielsweise eine Länge sehr genau wiedergibt, ohne dass äußere Einflüsse wie Luftfeuchtigkeit, Temperatur oder andere Störungen die Genauigkeit beeinträchtigen. Für solche Präzisionsmessungen reicht das »Urmeter«, das vor über zwei Jahrhunderten als 40-millionster Teil des Erdumfangs festgelegt wurde, nicht aus. Ähnliches gilt für die Sekunde: Natürlich kann man die Sekunde als den soundsovielten Teil eines Jahres definieren, dessen Länge durch die Umlaufzeit der Sonne um die Erde bestimmt ist – aber weil die Erde ein bisschen »eiert«, ist die Zeit eines Sonnenumlaufs nicht so genau festzulegen, wie die Physiker sich das wünschen.

Der Ausweg: Man versucht, die Einheiten auf Naturkonstanten zurückzuführen, deren Wert immer und überall gleich ist und den man genau kennt. So ist beispielsweise das Meter heute durch die Lichtgeschwindigkeit bestimmt, die immer gleich ist, und die Sekunde wird durch die Frequenz einer bestimmten Laserstrahlung definiert.

Anders ist es bei den elektrischen Einheiten Ampere, Volt und Ohm. Schon deren Definition ist ziemlich umständlich, und die Verkörperung der Widerstandseinheit Ohm ist äußerst aufwendig. Die Genauigkeitsschranke 1 zu 100 Millionen lässt hier sich nur mit Schwierigkeiten und auch nur ganz knapp erreichen. Daher war die Nachricht, es sei ein neuer Effekt gefunden worden, in dem der elektrische Widerstand ausschließlich von zwei Naturkonstanten abhängt, sehr aufregend, zumindest für die Physiker.

Aber der Reihe nach.

Schon 1879 hatte der Amerikaner Edwin Herbert Hall den nach ihm benannten Hall-Effekt entdeckt: Eine dünne Metallplatte wird längs von einem elektrischen Strom durchflossen. Bringt man die Platte in ein Magnetfeld, kann man an den Querseiten der Platte eine Spannung messen. Daraus lässt sich dann ein elektrischer Widerstand berechnen. Wenn man den Strom etwas verändert, verändert sich gleichmäßig auch dieser Hall-Widerstand.

Hundert Jahre später war der Hall-Effekt wieder Gegenstand längerer Untersuchungen. Der damals 36-jährige Klaus von Klitzing arbeitete nach seiner Habilitation in Grenoble über die Eigenschaften von bestimmten Transistoren in sehr starken Magnetfeldern. Nach einigen Vorarbeiten wurden spät abends am 4. Februar 1980 die Strom fressenden Magnete angeschaltet. Man konnte auch bei diesen Messungen an einem Transistor eine Art Hall-Effekt erwarten. Umso größer die Überraschung, als sich bei Veränderung des Stroms keine glatte Kurve für den Hall-Widerstand ergab, sondern Stufen auftauchten. Wegen dieser Analogie zur Quantenmechanik spricht man hier vom Quanten-Hall-Effekt.

Merkwürdigerweise lagen die Stufen immer auf derselben Höhe: Unabhängig von der Probengeometrie, von der genauen Beschaffenheit des Transistors oder anderen äußeren Umständen maß von Klitzing immer wieder dieselben Werte. Rechnerisch erhält man sie, wenn man den Widerstand 25.812 Ohm nacheinander durch 2, 3, 4, 5 usw. teilt. Und die 25.812 Ohm ergeben sich in einer kleinen Rechnung, für die man nur zwei grundlegende physikalische Konstanten braucht, nämlich das Planck’sche Wirkungsquantum und die Elementarladung. Damit eröffnete die Versuchsanordnung eine Möglichkeit, die Einheit Ohm direkt und nur mithilfe von Naturkonstanten darzustellen.

Das Faszinierendste an dem Effekt ist seine hohe Reproduzierbarkeit, heute auf 1 zu 10 Milliarden genau. Deswegen ist er mittlerweile weltweit zur Grundlage für die gesetzliche Verkörperung der elektrischen Einheit Ohm geworden – und das, obwohl es bis heute noch keine umfassende Theorie zu seinem Verständnis gibt.

Klaus von Klitzing erhielt für »seinen« Effekt schon sehr schnell, im Jahr 1985, den Nobelpreis für Physik. Das war die erste derartige Auszeichnung an einen Deutschen seit Mitte der 1960er Jahre. Im selben Jahr wurde er auf Lebenszeit zum Direktor am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart ernannt. Und noch immer gehört der Quanten-Hall-Effekt zu den Forschungsgebieten seiner Arbeitsgruppe.

Carsten Heinisch
geschrieben für »Zeitwort« (SWR2) 2000, aktualisiert November 2009

Das Bild stammt von dem russischen Wikipedia-Nutzer Antikon, wurde von dem Nutzer Dogbert66 verändert und ist in
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